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Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60

Osten nach Westen sehend schickt sich ein hohes Kreuz, dem alle Leichname gewissermaßen ins Angesicht sehen; alle die Todten ruhen unter dem Schutze des Gekreuzigten, harren auf ihn und erwarten von ihm ihres Leibes Erlösung. An den Enden des Kreuzgangs schicken sich Ruhebänke, die Traurigen und Müden einzuladen, und wenn über die Pforte etwas gesetzt werden soll, so ist auch hier das Bild des Gekreuzigten das beste. Die Gänge können mit Bäumen bepflanzt sein, so jedoch, daß sie nicht die Gräber beirren, und sie nicht durch die Schaufel des Todtengräbers Schaden leiden. Jedes Grab soll in Gestalt eines niedrigen Altars errichtet werden, sowie jeder Altar die Form des Grabes trägt. Alle Gräber sollen von Westen nach Osten gerichtet sein, die Angesichter aller Schläfer gen Aufgang sehen. Alle Gräber sollen gepflegt sein, mit Rasen ringsum, mit Blumen oben drauf. Jedes Grab soll als Siegeszeichen das Kreuz bekommen, mit dem Namen, Geburts- und Todestag des Entschlafenen auf der einen Seite, dem Leichentext oder einem andern Spruch auf der andern Seite bezeichnet. Ein Gitter ums Grab soll nicht gestattet sein.

§. 31.

 Monumente für die Gräber sind nicht erfordert, aber erlaubt; man muß sich aber hüten, nichts anderes anzubringen als Christliches. Die Unterscheidung ist durch die im vorigen Jahrhundert eingerißene Verwirrung keine leichte Sache. Sehr viele Grabmäler auf unsern Gottesäckern erinnern weit mehr an die traurige Auffaßung des Todes, wie sie bei den Heiden Statt hatte, als an die Offenbarung JEsu Christi vom ewigen Leben. Auf die Grabsteine oder Schlußsteine der Gräber bildete das Altertum die Namenschiffre Christi mit dem α und ω, zur Seite, Offb. 1, 8, einen Anker, Ebr. 6, 19, einen Leuchter, Joh. 8, 12, eine Krone, 2 Tim. 4, 8, eine Palme, Offb. 7, 9, einen Oelzweig, Röm. 11, 17, Weinreben, Joh. 15, 5, einen Fisch – (ιχθύς – Jesus Christus, Gottes Sohn, Heiland), einen Delphin, einen Hirsch, Ps. 42, 2, ein Lamm, eine Taube, einen Phönix, einen Pfau (der Pfau soll unverwesliches Fleisch haben) u. s. w. Was die Abbildungen anlangt, die man auf den Gräbern findet, so liebte das Altertum die Arche Noah, das Opfer Abrahams, die Geschichte des Jonas, Daniel in der Löwengrube, die drei Männer im Feuer, das Bild des guten Hirten, der Auferstehung u. dgl. Bei der Anfertigung von Monumenten ist immer das sicherste, die alte Tradition einzuhalten; man fühlt es auch , wenn man auf den berühmtesten Gottesäckern herumwandelt, wie sehr die Zeit in Unklarheit und Unglauben verloren hat. Die Grabesmonumente predigen laut von der Zeiten Eigenschaft. Es ist wenige, aber doch einige Sicherheit gegeben, daß es beßer werde, wenn sich jedermann merkt, daß kein Monument ohne Einwilligung des Pfarrers gesetzt werden darf.

(Fortsetzung folgt.)

Von der Barmherzigkeit.
(Fortsetzung.)
§. 13.

 So wie Gott an und durch Israel allen Völkern Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit angetragen hat, so ist Israel, der Träger der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit Gottes, auch selbst in beständiger Erfahrung der göttlichen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Die hohe Hand, welche an Pharao und den Göttern der Aegypter für den Hochmuth Gerechtigkeit übte, ist für Israel eine hohe Hand der Barmherzigkeit, die wie Adlersflügel das Schwert der Gerechtigkeit, nemlich das Volk Israel, gen Kanaan trägt, die Völker zu vertilgen. Diese Hand führt das Volk barmherzig durchs rothe Meer, zum Sinai, nach Kades; dieselbe Hand legt das ganze Volk nieder in des Todes Staub nach gerechtem Urteil. Barmherzig führt sie die frische Generation nach 38 Jahren über den Jordan und läßt die Städte fallen und die Völker vor ihrem Geschrei, geschweige vor ihrem Schwerte; bequeme Kriegführung, bei welcher der HErr stritt, Israel stille war und feiernd seine Siege verfolgte nach der Barmherzigkeit , die ihnen geschah. Bald aber kamen Jahrhunderte unter den Richtern, während welcher bald die Gerechtigkeit, bald die Barmherzigkeit zu sehen war, je nachdem die Gottvergeßenheit und die Sehnsucht, den weltlichen Völkern gleich zu werden, oder die thränenreiche Reue und Umkehr zu Jehova hervortrat. Ganz ähnlich geht es durch die ganze Geschichte; immer großartiger wechselt Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ab, bis der gerechte HErr das Volk wegwirft, um es erst wieder aufzunehmen, wenn nicht mehr die alttestamentliche, sondern die neutestamentliche Zeit der Heiden erfüllt ist.

§. 14.

 In der Zeit Samuels reifte das Verlangen des Volkes Israel, einen König wie andere Völker zu haben, so stark heran, daß es Erhörung forderte. Zwar widerstrebte Samuel, und der HErr tadelte ihn um seines Widerstrebens willen nicht. Da aber schon von Mose dem Volke ein König geweissagt war, und ein Königtum der Theokratie nicht geradezu widersprach, vielmehr der Schattenriß des kommenden Königreichs Christi sich in demselben entwerfen konnte, so gab Samuel auf Gottes Befehl dem Volke einen König, und noch einen; einen, der nicht nach des HErrn Sinn verblieb, einen zweiten aber nach dem Herzen Gottes. Was das Volk in Sünden forderte, gewährte der HErr nach seiner Barmherzigkeit, hüllte aber auch seine Gerechtigkeit mit ein, da das Volk um seiner Könige willen gar vieles leiden muste, was es um seiner Sünde willen verdient hatte. Wenn irgendwo, so begegneten sich wieder im Königtum Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Weil aber das Königtum, ähnlich wie das Priestertum, so leicht dem Verderben ausgesetzt war und dann eine Zuchtrute des Allerhöchsten und seiner Gerechtigkeit werden muste, die Gerechtigkeit sich also alsdann wider die Barmherzigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Vom Schmuck der heiligen Orte, Dictat aus den Jahren 1857/58, abgedruckt im „Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau“ 1859/60. Druck in Commission der C. H. Beck’schen Buchhandlung, Nördlingen 1859, 1960, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Correspondenzblatt_der_Diaconissen_von_Neuendettelsau_Bd02_1859.pdf/31&oldid=- (Version vom 4.9.2016)