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Frau Otti schloß die schwarze Eichentür mit den grünlichen Kupferbeschlägen auf.

Eine Kapelle … Grünliches Halbdunkel … Ein kleiner Altar … Ein weißes Kruzifix, Schleifen … Zwei Betstühle …

Hier ist’s fast eisig kühl. Und so totenstill.

„Nehmen Sie Ihre Taschenlampe, lieber Freund …“

Der weiße Lichtkegel zerreißt die weihevolle Stimmung. In den Steinplatten eine schwere Falltür. Ich hebe den einen Flügel … Wir steigen zwölf Stufen hinab. Beklemmend schmiegt sich die feuchte Kälte mir um die Brust …

Acht Särge hier ..: Eiche! Unverwüstlich.

Einer davon schmal und klein. Ich lese die Gravierung der Kupferplatte. Ein Kind, ein Mädchen ..: Frau Otti rückt schon den Deckel beiseite.

Der Lichtschein zeigt mir ein schlummerndes, blondes Mägdlein, ganz in Weiß gekleidet, in den gefalteten Händen einen Rosenkranz. Ein Mägdlein, dem die Verwesung nichts hat antun können. Wie schlafend, ohne jede Spur des entstellenden Todes.

Ich habe viele, sehr viele mumifizierte Leichen gesehen. Diese hier – ein ergreifendes Bild! Achtzig Jahre gingen dahin. Das Mägdlein schlief noch immer …

Neben mir sagt die Freundin leise: „Das ist das Wunder von Sagan!“

„Ja, es ist ein Wunder …“

Und wie mir das Wort Wunder so ernst über die Lippen kommt, weckt es in mir jählings Erinnerungen …

Es geschieht ja so häufig, daß ein weiches Pochen genügt, die versperrten Pforten unserer Gehirnzellen zu öffnen – ein ganz zufälliges Pochen, und die Tür springt auf und wir schauen hinein in Gewesenes, Verklungenes …

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Max Schraut: Dämon Chanawutu. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1928, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:D%C3%A4mon_Chanawutu.pdf/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)