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welches sie noch hatte; und dieser Knabe wurde ihr um so theurer, als sich schon frühe vor ihren Augen die herrlichen Anlagen seines Geistes entwickelten. Aber je mehr sie ihn liebte, um so mehr glaubte sie ihm ihre Liebe nicht besser erweisen zu können, als durch eine gewissenhafte und christliche Erziehung. Frühe schon erkannte sie, daß sein jugendlicher Geist einer wachsamen und strengen Aufsicht bedürfe. Er war ein Knabe von gutmüthigem Herzen, aber bei seinem sehr muntern und regsamen Geiste blieb er nicht von jugendlichem Muthwillen frei, wovon noch jetzt manche Beispiele eigener Art erzählt werden. Deswegen verwendete sie die genaueste Sorgfalt auf seine Erziehung. Mit sanfter Liebe, aber auch, wo es nöthig war, mit ernster Strenge leitete sie ihn auf der richtigen Bahn. Ihr Herz ermüdete nicht in diesem schönen Berufe, und ihre mütterliche Sorgfalt blieb nicht ohne reichen Segen. Besonders machte ihr frommer Geist einen tiefen Eindruck auf ihn, und frühe schon erwachte ein gleicher Geist auch in seinem Gemüthe, und that sich auf eine sehr erfreuliche Weise kund. So zum Beispiel verfertigte er sich als Knabe ein Kästchen, um die Puppen von Raupen darein zu legen, die er gesammelt hatte. Er füllte es mit Erde, machte jeder Puppe ein kleines Grab, legte sie hinein, und setzte, nachdem er sie mit Erde leicht zugedeckt hatte, ein kleines Kreuz darüber. Mit Sehnsucht sah er dann ihrer Auferstehung entgegen, und freute sich, wenn diese erfolgte, um so inniger, da sein frommes Herz eine tröstliche Andeutung unsers zukünftigen Lebens darin fand.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Peter Hebel: J. P. Hebels sämmtliche Werke: Band 1. Chr. Fr. Müller’sche Hofbuchhandlung, Karlsruhe 1834, Seite VI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Hebel_Werke_1834_1_08.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)