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verspricht, für 200.000 Francs 20.000 schwitzende, unglückliche Leute hinausbringen, die ihm fluchen werden, weil er ihnen diese Plage auferlegte.

Ich hingegen werde diese 200.000 Francs als Rennpreis aussetzen für das schnellste Pferd – und dann lasse ich die Leute durch Schranken von Longchamp abhalten. Wer hinein will, muss zahlen: 1 Francs, 5 Francs, 20 Francs.

Die Folge ist, dass ich eine halbe Million Menschen hinausbekomme, der Präsident der Republik fährt à la Daumont[1] vor, die Menge erfreut und belustigt sich an sich selbst. Es ist für die Meisten, trotz Sonnenbrand und Staub, eine glückliche Bewegung im Freien, und ich habe für die 200.000 Francs eine Million an Eintrittsgeldern und Spielsteuer eingenommen. Ich werde dieselben Leute, wann ich will, wieder dort haben; der Baron nicht – der Baron um keinen Preis.

Ich will das Phänomen der Menge übrigens gleich ernster beim Broterwerbe zeigen. Man versuche es einmal, in den Strassen einer Stadt ausrufen zu lassen: „Wer in einer nach allen Seiten freistehenden eisernen Halle im Winter bei schrecklicher Kälte, im Sommer bei quälender Hitze, den ganzen Tag auf seinen Beinen stehend, jeden Vorübergehenden anreden und dem Trödelkram oder Fische oder Obst anbieten wird, bekommt 2 fl. oder 4 Francs oder was Sie wollen.“

Wie viel Leute bekommt man wohl da hin? Wenn sie der Hunger hintreibt, wie viel Tage halten sie aus? Wenn sie aushalten, mit welchem Eifer werden sie wohl die Vorübergehenden zum Kaufe von Obst, Fischen oder Trödelkram zu bestimmen versuchen?

Wir machen es anders. An den Punkten, wo ein grosser Verkehr besteht, und diese Punkte können wir umso leichter finden, als wir selbst ja den Verkehr leiten wohin wir wollen, an diesen Punkten errichten wir grosse Hallen und nennen sie: Märkte. Wir könnten die Hallen schlechter, gesundheitwidriger bauen als jene, und doch würden uns die Leute hinströmen. Aber wir werden sie schöner und besser, mit unserem ganzen Wohlwollen bauen. Und diese Leute, denen wir nichts versprochen haben, weil wir ihnen, ohne Betrüger zu sein, nichts versprechen können, diese braven geschäftslustigen Leute werden unter Scherzen einen lebhaften Marktverkehr hervorbringen. Sie werden unermüdlich die Käufer haranguiren[2], sie werden auf ihren Beinen dastehen und die Müdigkeit kaum merken. Sie werden nicht nur Tag um Tag herbeieilen, um die Ersten zu sein, sie werden sogar Verbände, Cartelle, alles Mögliche schliessen, um nur dieses Erwerbsleben ungestört führen zu


Empfohlene Zitierweise:
Theodor Herzl: Der Judenstaat, Berlin und Wien 1896, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Herzl_Judenstaat_61.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2018)
  1. à la Daumont: Feierliches Vorfahren mit einer vierspännigen Kutsche und berittenen Begleitern. Nach einem Herzog d'Aumont.
  2. harangieren hier: auf jemanden einreden.