Seite:DE Stirner Schriften 012.jpg

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steckte aber der Gläubige und mit ihm die ganze Schaar der Gottesfürchtigen, und — was das Schlimmste und Wunderlichste war — wir selbst steckten auch dahinter. Wir waren allerdings sehr freisinnige Philosophen und ließen auf das Denken nichts kommen: das Denken war Alles in Allem. Wie stand es jedoch mit dem Glauben? Sollte der etwa dem Denken weichen? Bewahre! Die sonstige Freiheit des Denkens und Wissens in allen Ehren, so durfte ja doch keine Feindschaft angenommen werden zwischen dem Glauben und Wissen! Der Inhalt des Glaubens und der des Wissens ist der eine und selbige Inhalt, und wer den Glauben verletzte, der verstände sich selbst nicht und wäre kein wahrer Philosoph! Machte es denn nicht Hegel selbst zum „Zweck seiner religiös-philosophischen Vorlesungen, die Vernunft mit der Religion zu versöhnen“ (Phil. d. Rel. II, 355) und wir, seine Jünger, sollten dem Glauben etwas entziehen wollen? Das sey ferne von uns! Wisset, Ihr gläubigen Herzen, daß wir ganz einverstanden sind mit Euch in dem Inhalte des Glaubens, und daß wir uns nur noch die schöne Aufgabe gestellt haben, Euren so verkannten und angefochtenen Glauben zu vertheidigen. Oder zweifelt Ihr etwa noch daran? Sehet zu, wie wir uns vor Euch rechtfertigen, leset unsere versöhnlichen Schriften über „Glauben und Wissen“ und über die „Pietät der Philosophie gegen die christliche Religion“ und ein Dutzend ähnlicher, und Ihr werdet kein Arg mehr haben gegen Eure besten Freunde! —

So stürzte sich der gutherzige, friedliche Philosoph in die Arme des Glaubens. Wer ist so rein von dieser Sünde, daß er den ersten Stein aufheben könnte gegen den armen philosophischen Sünder? Die somnambüle Schlafperiode voll Selbstbetrug und Täuschung war so allgemein, der Zug und Drang nach Versöhnlichkeit so durchgängig, daß nur Wenige sich davon frei erhielten und diese Wenigen vielleicht ohne die wahre Berechtigung. Es war dies die