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sein, dessen andächtiges Gefühl nicht schon von mancher Predigt aufs tiefste verletzt worden wäre, in welcher ein sklavischer „Diener am göttlichen Worte“ durch alle möglichen Kunststücke des Scharfsinnes so lange am Bibelworte drehte und deutelte, bis ein leidlicher Sinn herauskam. O, es ist widerwärtig, dieses Deuteln an dem, was geschrieben steht, an dem nicht gerückt werden soll, bloß weil es geschrieben steht; daß der Seelsorger nur darum loben soll, nicht tadeln. Er „soll“, wie es im Schriftchen selbst heißt, „unseren Kindern das dritte Gebot einschärfen;“ er soll! Seid Ihr, das fragt Euch selbst, seid Ihr damit zufrieden, daß man Euch sagt: So steht es geschrieben! — seid Ihr beruhigt über Eure Zweifel, sobald Ihr wisset, so und so laute die Bibel; gilt Euch etwas darum schon für wahr, weil Ihr’s im Testamente leset, und wollt Ihr nur die Schrift auslegen hören oder verlangt Ihr nach — der ewigen Wahrheit? Und wenn Ihr darnach verlangt, genügt Euch da ein „Diener des göttlichen Wortes“, der auf die Bibel geschworen hat, geschworen, Euch nur biblische Lehren beizubringen, geschworen, Euch seine abweichende Ansicht und seine Einwürfe zu verschweigen, — oder seht Ihr Euch nicht vielmehr nach einem freien Lehrer um? Es ist wahrlich erhebender und göttlicher, einen freien Menschen zu vernehmen, als anzuhören, wie ein Diener des Wortes seine pflichtschuldigen und diensteifrigen Lobgesänge anstimmt, und lieber lausche ich einem Sünder, der im Kampfe der Gedanken sich verirrt hat, als neunundneunzig solcher Gerechten.

Doch für jetzt müssen wir ihren Worten weiter mit Aufmerksamkeit folgen. Wir könnten uns durch den Beginn der Anrede geschmeichelt fühlen, weil uns gesagt wird, „ein bedeutender Theil der evangelischen Einwohner Berlins zeichne sich vor den Bewohnern anderer Ortschaften unseres Vaterlandes in der Begehung der Sonntagsfeier vorteilhaft aus,“ wenn wir nicht die Richtigkeit der

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Gegenwort aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_035.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2019)