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ob die fromme Abhängigkeit oder die sittliche und muthige Freiheit hinfort herrschen soll. Kindlicher Sinn aber, Liebe, Zucht und gute Sitte werden darum wahrlich nicht zu Grunde gehen, wohl aber edler und schöner wieder auferstehen. — Es gab eine Zeit, da die römischen Heidenpriester Wehe riefen über das Volk, dessen Tempel leer standen; es war das aber die Zeit, da die Kirchen der Christen die herbeiströmenden Andächtigen kaum fassen konnten. Die leeren Tempel, sie waren ein echtes Zeichen der erfüllten Zeit!

Jetzt, da die Kirche, wie ja laut behauptet wird, „in Verfall geräth“, wollen uns unsere Geistlichen mit blinkenden Worten dahin zurückführen, sie, die als christliche Seelsorger wissen sollten, daß man „nicht Most in alte Schläuche fasset; wo anders so zerreißet der Most die Schläuche und wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern den Most soll man in neue Schläuche fassen, so werden sie beide behalten.“ Sie könnten ihre Kirchen wohl wieder füllen, obgleich der Verfall der alten Kirche, wie sie es schauernd ahnen, unaufhaltsam vor sich gehen wird, wenn sie statt des Splitters im Auge der Gemeinen den Balken im eigenen sehen wollten. So aber schelten sie ihre Gemeinen darum, daß sie keinen bevormundeten und durch Verpflichtung gebundenen Redner hören mögen, der ihnen doch nicht sagen darf, was der Geist, der ewig freie, erforscht in den Tiefen der Gottheit, sondern sagen muß, was, so erhaben und heilig es auch sei, doch im unfreien Munde nicht menschlich, nicht das eigene aus der Tiefe der Brust heraufgeholte Wort eines aufrichtigen Menschen ist, sondern eine leblose und versteinerte Wahrheit. — Erkämpft Euch, Ihr Prediger des göttlichen Wortes, die Freiheit der Rede, und wir finden uns mit Freuden bei Euch ein; thut zu allererst ab den eigenen Knechtessinn, dann könnt Ihr freie Menschen zu Euch einladen; opfert die elende Furcht auf dem Altare des Heldenmuths, und Ihr

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Max Stirner: Gegenwort aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)