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„nothgedrungen“ bezeichnet erst die Noth, welcher durch einen Verein abgeholfen werden soll. Da sehen wir denn die Schwachen gegen die Starken, ein kleines Häuflein gegen die ungeheure Mehrzahl auftreten. Wer läuft dabei am meisten Gefahr? Nicht Die, welche mit materieller Ohnmacht eine Opposition zu bilden versuchen, sondern die Andern, die dem Versucher stehen müssen und seinem bösen Rathe, das „Recht des Stärkern“ geltend zu machen. Ich höre häufig sagen, es sei nicht zu verlangen, daß der Staat um einiger Wenigen willen ein Gesetz oder eine Institution ändere. Im Gegentheil, auch um Eines Menschen willen müßte er sogar ein tausendjähriges Gesetz umstoßen, wenn eben dies Gesetz ein Unrecht wäre. Von den Engländern wird schon längst gar manches alte Gesetz, dessen Ausführung ein Unrecht wäre, gebeugt, und besser handelten sie noch, wenn sie es auf der Stelle brächen. Was das Verlangen der Freien betrifft, der Staat solle das Staatsbürgerthum nicht länger an ein religiöses Bekenntniß knüpfen, so ist das gar nicht einmal mehr die Stimme Weniger. Die Juden können, wenn sie ihren Wunsch nach Emancipation auf die letzte Basis zurückführen, nichts Anderes als eben diese Trennung des Religionsbekenntnisses von dem Staatsbürgerthum begehren. Es laufen überhaupt in diesem von den Freien unverdeckt aufgestellten Punkte die wichtigsten Fragen des gegenwärtigen Staatslebens zusammen, und in letzter Instanz dreht sich Alles um die Alternative, ob der moderne europäische Staat ein „christlicher“ sei oder ein „humaner“. Man sagt: „Unsere europäischen Staaten haben sämmtlich das Christenthum zur Grundlage.“ Beweis? „Dessen bedarf es nicht, es ist ein unumstößliches Axiom!“ Sehr schön, ein mathematisches Axiom bedarf des Beweises nicht, aber eine wurmstichige Einbildung darf sich auch nicht für ein Axiom ausgeben. Die obige Behauptung von der Grundlage des Christenthums ist durch und durch falsch und ein Zeichen

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Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)