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dagegen, zwei dafür; in Berlin gab Marheineke ein Separatvotum gegen die Bauer feindliche Facultät ab; in Breslau Mitteldorpf desgleichen. Was ist nun der gemeinsame Grundzug dieser sechs Corporationen und ihrer Separatstimmen? Es könnte scheinen, daß die feindlichen von den freundlichen sehr verschieden sein müßten. Nichts weniger als das. Die feindlichen stehen auf schwanken Füßen, die freundlichen aber können sich garnicht auf den Beinen erhalten. Allen gemeinsam dagegen ist die zähe Lebenslust, der Selbsterhaltungstrieb, die Todesfurcht. „Wenn wir nur leben, dann mag das Uebrige gehen wie es will; leben und leben lassen, das ist unser Motto. Aber nur nicht sterben, ja nicht sterben! Wer wird an seinen Tod denken? Wir leben in einem geordneten Staate, wo die Sicherheit des Lebens und Eigenthums sanctionirt ist; der Staat wird uns schützen: unser Leben und Eigenthum ist ihm – heilig!“ Werfen wir einen genauern Blick auf diesen typischen Charakter der Gutachten. Die Frage ist: könnt ihr Facultäten dabei „bestehen“, wenn Bruno Bauer unter euch ist? Die Mehrzahl ruft: Nein! man gebe ihm eine andere Stätte; die Uebrigen sagen: Ja, wir können dabei „bestehen“. Also „bestehen“ wollen sie beide; an der Nothwendigkeit ihres Bestandes zu zweifeln fällt keinem ein. Es war ja wol Voltaire, der einem erbärmlichen Dichter auf die brutalen Worte: „Ich muß ja doch leben!“ gelassen erwiderte: „Davon sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein.“ Der Dichter, der leben zu müssen glaubte, wird die Nothwendigkeit auch nicht eingesehen haben; allein daß er sich auch nicht einmal danach fragte, das documentirte eben seine Jämmerlichkeit. Ein tüchtiger Mensch hingegen stellt die Nothwendigkeit seines Bestehens jeden Augenblick in Frage, und wird z. B. lieber verhungern als sich durch elende Gedichte ernähren; einen Schiller hätte auch der quälendste Mangel nicht vermocht, der Welt mit undurchdachten, nichtsnützigen Machwerken seinen Unterhalt abzulocken.

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)