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der Künstler hat es ihr erschaffen, nur der Künstler könnte ihr’s wieder nehmen. Denn sie selbst ist ohne Genialität. Es gibt kein religiöses Genie, und Niemand wird behaupten, dass man in der Religion Genie’s, Talente und Talentlose unterscheiden dürfe. Zur Religion hat jeder gleiche Fähigkeit, so gut als zum Verständniss des Dreiecks und des pythagoräischen Lehrsatzes. Man verwechsele nur nicht Religion und Theologie; zu dieser hat freilich nicht Jeder die gleiche Befähigung, so wenig als zur höheren Mathematik und Astronomie: diese Dinge erfordern einen selteneren Grad von — Scharfsinn. Nur der Religionsstifter ist genial, er ist aber auch der Schöpfer des Ideals, mit dessen Schöpfung jede weitere Genialität unmöglich wird. Wo der Geist an ein Object gebunden ist und alles Maass seiner Bewegung ihm von eben diesem Objecte bestimmt wird (denn wollte der Religiöse durch einen entschiedenen Zweifel am Dasein Gottes über die Unübersteiglichkeit dieses Objectes dennoch hinaussteigen, so würde er damit eben aufhören ein Religiöser zu sein, etwa wie ein Gespenstergläubiger, wenn er am Dasein der Gespenster, dieser Objecte, entschieden zweifelte, kein Gespenstergläubiger mehr wäre. Der Religiöse erbaut sich nur darum „Beweise für das Dasein Gottes“, weil er, festgebannt in dem Kreise des Glaubens an dieses Dasein, innerhalb desselben sich eine freie Bewegung des — Verstandes und Scharfsinns vorbehält.), wo, sage ich, der Geist von einem Objecte abhängig ist, das er zu erklären, zu erforschen, zu fühlen, zu lieben u. s. w. sucht, da ist er nicht frei und, weil Freiheit die Bedingung der Genialität, auch nicht genial. Eine geniale Frömmigkeit ist ein eben so grosser Unsinn, als eine geniale Leineweberei. Die Religion bleibt auch dem Schaalsten zugänglich, und jeder phantasielose Tropf kann und wird doch immer noch Religion haben, weil ihn die Phantasielosigkeit nicht hindert, in Abhängigkeit zu leben.

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Kunst und Religion aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_261.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)