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und Eingebungen. So heiss er aber, dieser religiöse Verstand, sein Object liebt, so glühend hasst er auch alle, die es nicht lieben: Religionshass ist von religiöser Liebe unzertrennlich. Wer nicht an sein Object glaubt, der ist ein Ketzer, und der ist wahrlich nicht fromm, der Ketzerei duldet. Wer will es leugnen, dass Philipp II von Spanien unendlich frömmer war als Joseph II von Deutschland, und dass Hengstenberg wahrhaft fromm ist, Hegel aber gar nicht? In dem Maasse, als in unserer Zeit der Hass abgenommen hat, ist auch die religiöse Gottesliebe matt geworden und einer humanen Liebe gewichen, die nicht fromm, sondern sittlich ist, weil sie mehr für Menschenwohl, als für Gott „eifert.“ Der tolerante Friedrich der Grosse kann wahrlich nicht für ein Musterbild der Frömmigkeit gelten, wohl aber für ein erhabenes Vorbild der Menschlichkeit, der Humanität. Wer seinem Gott dient, der muss ihm ganz dienen. Es ist darum z. B. eine verkehrte Zumuthung an den Christen, dass er dem Juden keine Fesseln anlegen soll: auch der Christ mit dem mildesten Herzen kann nicht anders, wenn er nicht gegen seine Religion gleichgültig sein will oder eben gedankenlos verfährt. Denkt er verständig über die Forderungen seiner Religion nach, so muss er den Juden ausschliessen von christlichen Rechten, oder, was dasselbe ist, von den Rechten der Christen, und das vor allen Dingen im Staate. Denn die Religion ist für Jeden, der ihr nicht bloss lau anhängt, ein Verhältniss der Entzweiung.

Diess also ist die Stellung der Kunst zur Religion. Jene erschafft das Ideal und gehört an den Anfang; diese hat am Ideal ein Mysterium, und wird in Jedem zu einer um so innigeren Frömmigkeit, je fester er an dem Objecte hängt und von ihm abhängt. Ist aber das Mysterium aufgeklärt, die Gegenständlichkeit und Fremdheit gebrochen und eben damit das Wesen einer bestimmten Religion vernichtet,

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Kunst und Religion aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_267.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)