Seite:DE Stirner Schriften 287.jpg

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gedrungen fühlte, war die Zurückziehung aus der Welt unvermeidlich. Denn belügen durfte sie die Welt nicht, ohne unsittlich zu handeln, und eingestehen durfte sie’s nicht, wenn sie nicht, statt des Genusses, den Hohn und Spott der Welt erndten wollte. Jede Freude, die sich ihr künftig darbieten konnte, würde sogleich durch den Stachel der Scham vergiftet worden sein. In diesem Gefühle ruft sie aus, als ihr Vater dem Prinzen Heinrich, ihrem Geliebten, Eröffnungen zu machen gedenkt: „Sie wollen, dass ich sterbe, mich in seinen Augen so erniedrigt zu sehen!“ Sie hatte von der Welt, vor der sie entweder etwas auf dem Gewissen behalten, oder von der sie sich etwas nachtragen und gedenken lassen musste, nichts mehr zu hoffen: sie hatte es mit ihr verdorben.

Warum aber flüchtet sie sich zu Gott? Weil weder die Welt noch sie selbst ihre Sünde ihr abnehmen können. Nur Gott kann ihr vergeben. Die Menschen müssen sich nach dem Gesetzbuche des Guten richten und sind nur Unterthanen im Reiche des Guten; Gott allein ist der absolute König, dem auch das Gute unterworfen ist, und er fragt nicht, wo er begnadigen will, nach dem Guten, sondern nach seinem unumschränkten Willen. — Was liegt nun in dieser Hinwendung Mariens zu dem Herrn? Wiederum diess, dass sie fühlt, wie nach dem sittlichen Maassstabe ihr nimmermehr Gerechtigkeit werden könne, und wie sie darum eines anderen Maasses und Urtheils bedürfe. Dass sie die Lossprechung gerade von Gott durch ein reuevolles Leben zu erkaufen sucht, das ist gleichfalls das Werk des frommen Priesters, der ihr freilich nicht sagen konnte noch durfte: Wer sich selbst bindet, der ist gebunden, und wer sich selbst löset, der ist gelöst. Was sie selbst sich zu leisten vermöchte, das sucht sie ausser sich zu erflehen; aber sie wäre eben weder sittlich noch fromm, wenn sie anders verführe.

Wie konnte auch das sittliche Mädchen sich erst die