Seite:DE Stirner Schriften 289.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zu durchbrechen, und aus dem Stande der Erniedrigung heraus sich zu — empören. Was lag am Verluste der Keuschheit bei einem Mädchen, das diesen und jeden Verlust an der ganzen schuldigen Welt zu rächen Muth und Geist hatte?

Aber ein E. Sue kennt kein anderes Glück als das der ehrlichen Leute, keine andere Grösse als die der Sittlichkeit, keinen andern menschlichen Werth als den der Tugendhaftigkeit und Gottergebenheit. Ein Menschenkind, aus dem ein freier Mensch werden konnte, musste zum Tugenddienste verführt, ein noch unverdorbenes Gemüth musste mit dem Wahn der „guten Menschen“ vergiftet und verderbt werden. Wenn ein Dichter darzustellen vermag, wie seine Heldin, die mitten im Gewühl der schmutzigsten Laster ihr Leben führen und selbst die Blüthe ihres Leibes ihm zur Beute lassen muss, nicht gleich der Chouette oder dem Schulmeister, oder auch ihren weiblichen Altersgenossen zu einer Dienerin des Lasters wird, sondern ähnlich einer Atheistin, welche die kirchlichen Gebräuche zwangsweise erfüllt, völlig frei bleibt: sollte man da nicht meinen, er müsste sie auch über den Einfluss der Tugend erhaben halten können? Aber nein, der schwächliche, vom Ideale des „rechten Bürgerthums und wahren Staates“ träumende Poet macht aus ihr, statt eines gestählten Charakters, ein sentimentales, vom Wahne des „Guten“ leicht berückbares Gemüth, macht dasselbe Mädchen, das sich gegen das Laster behauptete, zu einem schwachen, kraftlosen Geschöpf, das sich mit Leib und Seele in die Sklaverei der Tugend anheim giebt.

Auch nicht Eine Person findet sich in dem ganzen Romane, die man einen selbstgeschaffenen Menschen nennen könnte, einen Menschen, der, rücksichtslos sowohl gegen seine Triebe als gegen den Antrieb eines Glaubens (Glaube an Tugend, Sittlichkeit u.s.w. und Glaube an das Laster) sich kraft der eigenen schöpferischen Allmacht selbst erschüfe.