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„Sie sind kalt,“ sagte sie, „sie sollen heiß werden!“

Ich war mittlerweile in’s Zimmer getreten und hatte mich neben ihren Stuhl gestellt. Plötzlich, wie von einem raschen Entschluß getrieben, stand sie auf und legte beide Hände fest um meinen Hals; sie wollte zu mir sprechen, aber ihre Thränen brachen unaufhaltsam hervor, und so drückte sie den Kopf gegen meine Brust und weinte eine lange Zeit, in welcher ich nichts thun konnte, als sie still in meinen Armen halten. „Nein, Marx,“ sagte sie endlich und mühte sich, ihrer Stimme einen festeren Klang zu geben, „ich verspreche es Dir, ich will nicht länger auf ihn warten.“

„Hast du ihn denn so sehr geliebt, Anne Lene?“

Sie richtete sich auf und sah mich an, als müsse sie erst nachsinnen über diese Frage. Dann sagte sie langsam: „Ich weiß es nicht – das ist auch einerlei.“

Ich blieb noch eine Weile bei ihr, und allmälig wurde sie ruhiger. Sie versprach mir, Muth zu fassen, mir und unserer Mutter zuliebe; sie wollte arbeiten, sie wollte in der kleinen Wirthschaft der alten Wieb die Anfänge des Landhaushaltes lernen, damit sie einmal als Wirthschafterin ihr Brot verdienen könne.

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Theodor Storm: Auf dem Staatshof. Braunschweig: George Westermann, 1891, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Storm_Auf_dem_Staatshof_44.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)