Seite:DE Storm Auf dem Staatshof 57.jpg

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Umstand gegenwärtig; ich glaube noch durch die Fensterscheibe der altmodischen Hausthür das Mondlicht zu sehen, das draußen wie Schnee auf den Steinfließen vor dem Hause lag; im Heraustreten hörten wir drinnen in der Gesindestube die alte Wieb den Schrank verschließen, in welchem sie das Brautlinnen ihres Lieblingskindes aufgespeichert hatte. – Es war eine laue Nacht; über unsern Köpfen surrten die Nachtschmetterlinge, die den erleuchteten Fenstern des oberen Stockwerks zuflogen; die Luft war ganz von jenem süßen Duft durchwürzt, den in der warmen Sommerzeit die wolligen Blüthenkapseln der rothen Himbeere auszuströmen pflegen. Anne Lene knüpfte ihr Schnupftuch um den Kopf; dann gingen wir, wie wir es oft gethan, um die Ecke des Hauses und über die Werfte nach dem Baumgarten zu. Wir sprachen nicht, ich wollte Anne Lene bitten, ihre Augen wieder nach der Welt zurück zu wenden und nicht mehr in den Schatten der Vergangenheit zu leben; aber das beunruhigende Bewußtsein einer eigennützigeren Bitte, die ich für günstigere Zeiten im Grunde meines Herzens zurückbehielt, raubte mir den Athem und ließ kein Wort über meine Lippen

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Theodor Storm: Auf dem Staatshof. Braunschweig: George Westermann, 1891, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Storm_Auf_dem_Staatshof_57.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)