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Ich war bereits ermattet und begann:

„„O süßer Vater, ich erlieg’ der Reise!
Verweile, weil ich so nicht folgen kann!““

46
„Bis dorthin schleppe dich!“ So sprach der Weise,

Und zeigt auf einen Vorsprung nahe dort,[1]
Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.

49
Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,

Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.

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Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,

Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.

55
Die Augen kehrt’ ich erst zum tiefen Strand;[2]

Dann, als ich sie zur Sonn’ emporgeschlagen,
Die jetzt zur Linken, Gluten sprühend, stand,

58
Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen

Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
Und unserm Standort schien dahin zu jagen,

61
Und sprach: „Wenn jenem Spiegel ew’ger Macht

Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,


  1. 47. [Der Leser erinnere sich an das in der Vorbem. über die Oertlichkeit Gesagte. Weil der Fegefeuerberg die Gestalt des umgekehrten Höllentrichters hat, so spitzt er sich aufwärts zu (doch so, daß er ganz oben abgeplatter ist) und so werden die rings herumlaufenden Terrassen, in denen er sich abstuft, nach oben zu immer kleiner, aber auch immer lieblicher und sanfter geneigt, wie dort die Höllenkreise immer grauser werden – was alles nicht ohne eine sinnige, allegorische Beziehung ist. Und wie dort der Blick nur in die Tiefe tauchte und sich von der Finsterniß umstarrt fand, so schweift er hier in das Weite des lichten Luftmeers, das den freistehenden Berg umgibt. Endlich führen hier die Treppen von einer Terrasse zur andern durch schmale Felseneinschnitte und, nach Westen gekehrt, haben die Dichter wieder rechts den freien Raum und den Abfall gegen das Meer, links die Felsenwände gegen oben.]
  2. 55–83. Der Dichter zieht in Gedanken von Jerusalem aus durch den Mittelpunkt der Erde nach der andern Halbkugel eine Linie, an deren Ende der Berg des Fegefeuers liegt. Wir finden daher den selben auf der südlichen Halbkugel. Von dieser aus aber erscheint die Sonne gegen Norden, dem Dichter also jetzt, da er das Gesicht nach Osten wendet, [221] zur linken Hand. – In das Zeichen der Zwillinge (Castor und Pollux) tritt die Sonne (der Spiegel ewiger Macht) am 21. Mai, wo sie also um zwei Zeichen des Thierkreises nördlicher als im ersten Frühlinge steht. Zu dieser Zeit also würde dem Dichter der nördliche Lauf derselben noch auffallender sein.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)