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Daß Niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte?““

94
„O,“ sprach er drauf, „am Fuß des Casentin

Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen[1]
Beim Kloster oberhalb im Apennin.

97
Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,

Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,

100
Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,

Um mit Maria’s Namen wohl zu enden,
Und fiel und ließ die leere Hülle dort.

103
Da fühlt’ ich mich in eines Engels Händen,[2]

Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
„Wie, du vom Himmel willst mir den entwenden?

106
Wahr ist’s, was ewig ist, erbeutest du

Nur durch ein Thränlein, das ihn mir entzogen;[3]
Doch gönn’ ich nun dem Andern keine Ruh’.“

109
Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgesogen[4]

Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.

112
Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,[5]

Fügt’ er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.

115
Als drauf der Tag erloschen war, belegte

Er Pratomagno’s Thal mit schwarzem Duft,
Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.

118
Zu Fluten wurde nun die schwang’re Luft,

Zum Strombett rann, was von den Regengüssen


  1. 95. Der Archiano verliert seinen Namen, indem er sich mit dem Arno vereinigt.
  2. [103 ff. Vgl. Hölle 27, 112 ff. dieselbe Scene bei Guido].
  3. 107. Hier, wie überall, spricht sich der Glaube aus, daß nur diejenigen verdammt werden, welche der Tod als verstockte Sünder ohne Reue überrrascht, Reue aber und Vertrauen auf Gnade, wenn auch nur im Augenblicke des Todes empfunden, den höchsten Richter versöhnt.
  4. 109. Der Dichter folgt hier der Physik des Aristoteles, nach welcher die Dünste, wenn sie bis zur Region der Kälte emporgekommen, sich verdichten und als Regen oder Schnee herabfallen.
  5. 112. Den bösen Geistern ist es, nach dem Volksglauben, gestattet, Stürme und andere Naturerscheinungen zu erregen. [Der Sturm an jenem Abend ist historisch.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)