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Italien, Sclavin, Schlund voll Schmerz und Graus,[1]

Schiff ohne Steuer auf durchstürmten Meeren,
Nicht Herrscherin der Welt, nein, Hurenhaus;

79
Wie sah ich jenen Schatten dort, den hehren,

Beim süßen Klange seiner Vaterstadt
Hereilen, um den Landsmann froh zu ehren.

82
Doch deine Lebenden sind nimmer satt,

Im tollen Kampf sich wechselweis zu morden,
Selbst die umschlossen eine Mauer hat.

85
Elende, such’ an deinen Meeresborden,

Im Innern such’ und keinen Winkel letzt
Des Friedens Glück im Süden und im Norden.

88
Was hilft dir’s, da dein Sattel unbesetzt,[2]

Daß Justinian die Zügel dir erneute?
Ohn’ ihn wär’ minder deine Schande jetzt.

91
Ihr hättet längst mit frommem Sinn, ihr Leute,[3]

Zu Cäsar’s Sitz den Sattel eingeräumt,
Verstündet ihr, was Gottes Wort bedeute.

94
Seht, wie das wilde Thier sich tückisch bäumt,

  1. 76. Mantua, der Name des Vaterlands des Virgil und Sordello, war das Zauberwort, bei dessen Klange der Letztere alles Stolzes vergaß und den Fremden ihm noch Unbekannten umarmte. Dies veranlaßt den Dichter zu der nun folgenden Strafrede gegen Italien, das gemeinsame schöne Vaterland, dessen Bürger, weit entfernt, durch eine gemeinsame Gesinnung für das Vaterland verbunden zu sein, sich in wüthenden Wechselkriegen vertilgten; das selbst innerhalb der Mauern seiner Städte zerstörenden Parteikampf der Bürger nährte; und das, wie die Parteiwuth es gebot, der feilen Dirne gleich die Fremden anlockte und ihnen seinen Schooß öffnete.
  2. 88. Was hift dir’s, daß Justinian dir Gesetze gab, da kein Herrscher vorhanden ist, um sie geltend zu machen.
  3. 91. Der Ghibellin eifert hier gegen diejenigen, die, statt dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, theils nach republikanischer Freiheit rangen, theils der Kirche weltliche Herrschaft zu verschaffen suchten. [Der Leser erkennt hier wieder die Grundzüge des politischen Systems des Dante, welches kurz in der Vorbemerkung geschildert worden ist.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)