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Seit Niemand es die Sporen fühlen lassen,
Und ihr es, die ihr’s zähmen wollt’, entzäumt.

97
O deutscher Albrecht, der dies Thier verlassen,[1]

Das drum nun tobt in ungezähmter Wuth,
Statt mit den Schenkeln kräftig es zu fassen,

100
Gerechtes Strafgericht fall’ auf dein Blut!

Und neu und offen mög’ es deiner warten.
Dann ist dein Folger wohl auf seiner Hut.

103
Schuld bist du sammt dem Vater an dem harten

Geschick Italiens, da ihr, deutsche Gau’n
Nur pflegend, ganz versäumt des Reiches Garten.

106
Komm her jetzt, der Montecchi Stamm zu schau’n,[2]

Leichtsinniger, komm, sieh die Capelletten,[WS 1]
Die schon gebeugt, und die voll Angst und Grau’n!

109
Komm, Grausamer, die Treuen zu erretten!

Sieh, ungestraft drängt sie der schnöde Feind!
Sieh Santafior in wilder Räuber Ketten!

112
Komm her und sieh, wie deine Roma weint,

Und höre Tag und Nacht die Wittwe stöhnen:


  1. 97. Kaiser Albrecht, Sohn Rudolphs von Habsburg, hatte, gleich seinem Vater, in Deutschland zu viel zu thun, und verwickelte sich durch regellose Thätigkeit und Habsucht dort und in der Schweiz in zu viele Händel, als daß er in Italien, wo Bonifaz der Achte ihm feindselig entgegenstand, etwas wirken oder auch nur an die Unterwerfung dieses Landes ernstlich hätte denken können. Ohne alle Hülfe von außen mußten daher seine Anhänger in Italien, zu welchen die V. 106 und 107 benannten Geschlechter gehörten, der mächtig sich erhebenden guelfischen Partei unterliegen. Das Strafgericht, das der Dichter, seine Reise in das Jahr 1300 versetzend, prophetisch vom Himmel auf Albrecht herabruft, hatte, da er dies schrieb, den Kaiser schon betroffen, der den 1. Mai 1308 von seinem Neffen Johann und dessen Verbündeten auf dem Wege von Baden nach Rheinfelden ermordet worden war. – So wenig die Deutschen auch Ursache haben, Albrecht zu loben, so werden sie doch nicht ihm, noch weniger seinem großen Vater, darüber Vorwürfe machen, daß er sich nicht um Welschland bekümmerte. Wie ganz anders würde sich die deutsche Geschichte gestaltet haben, wenn die Gartenauen Italiens und die aus ihnen entspringenden leeren Träume einer Fortsetzung des römischen Reichs für die sächsischen, fränkischen und schwäbischen Kaiser weniger Reiz gehabt hätten!
  2. 106. Außer den Montecchi und Capelletti führt der Dichter noch die Monaldi und Filipeschi auf – sämmtlich ghibellinisch gesinnte Geschlechter, welche durch die Uebermacht der Guelfen unterdrückt wurden. [Eben so die Santafiore.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Familien Montecchi und Cappelletti dienten William Shakespeare als Vorlage für sein Drama Romeo und Julia, in welchem ein Konflikt zwischen den Familien Capulet und Montague geschildert wird.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)