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Denn kein gewisser Ort ist uns bestimmt.
So weit ich gehn darf, will ich dich begleiten.

43
Doch sieh, wie schon des Tages Licht verglimmt,

Drum ist auf guten Aufenthalt zu sinnen,
Weil man bei Nacht nicht in die Hölle klimmt.

46
Dort rechts sind Seelen, nicht gar weit von hinnen;

Zu diesen, wenn du einstimmst, führ’ ich dich,
Und denke wohl, du wirst dabei gewinnen.“ –

49
Virgil: „Wenn’s Nacht wird, steigt man nicht? So sprich,[1]

Erliegt vielleicht die Kraft dann der Beschwerde?
Wie, oder widersetzt dann Jemand sich?“

52
Mit seinem Finger streifte nun die Erde

Sordell und sprach: „Nicht hoffe, daß bei Nacht
Dein Fuß den Strich nur überschreiten werde.

55
Am Steigen hindert sonst dich keine Macht,

Als Dunkelheit, die, wie sie uns ermattet,
Verwirrt durch Ohnmacht unsern Willen macht.

58
Hinab zu gehn und rückwärts ist gestattet,

Und irrend rings umher zu gehn am Bord,
Wenn auch ihr Schleier noch die Welt umschattet.“

61
Mein Meister stand erst wie bewundernd dort;

„Wie du versprachst,“ so hört’ ich drauf ihn bitten,
„Geleit’ uns an den angenehmen Ort.“

64
Wir waren eben noch nicht weit geschritten,

Da war ein hohler Raum am Berg zu sehn,
Ein Thal, das dort den Felsenrand durchschnitten.

67
„Dorthin“, so sprach der Schatten, „laß uns gehn,

Seht dort den Berg von einer Höhlung theilen,
Dort sehen wir den Morgen auferstehn.“

70
Ein krummer Fußpfad führte zwischen steilen[2]

  1. [49 ff. Vgl. Joh. 12, 35 und 9, 4 etc. „wandelt dieweil ihr das Licht habt; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ Nur im Sonnenschein der himmlischen Gnade kann die Besserung und Läuterung gedeihen. Ohne sie gelangt man abwärts, sinkt ins Böse zurück.]
  2. [70 ff. Man erinnere sich, daß die beiden Wanderer noch auf der großen, untersten Schiefebene des Berges sind, über der erst die Felsenterrassen ansteigen. Der letzte Theil des langen, über dieselben führenden Fußpfades, dem sie bisher gefolgt, trifft endlich auf den Rand eines Wiesenthals, in welches hinabsehend sie die 4. Klasse der Säumigen finden, welche in der Ueberschrift dieses Gesanges schon näher bezeichnet sind.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)