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Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.

76
Trajan, den Imperator, stellt’ es vor,

Und eine Wittw’, ihm in den Zügel fallend,
Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.

79
Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend

– So schien’s dem Aug’ – als goldenes Panier
Die Adler drüberhin im Winde wallend.

82
Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:

„Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
Du räche mich, die Rache ziemet dir.“

85
„„So warte, bis ich kehre!““ Dies zu sagen

Schien Er, und Sie darauf: „Und wenn du nun“
(Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)

88
„Nicht wiederkehrst?“ – „„So wird’s mein Folger thun!““ –

„Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
Mag auch indeß die Pflicht vergessen ruhn!“ –

91
„„So tröste dich,““ entgegnet’ er der Armen,

„„Bevor ich ziehe, lös’ ich meine Pflicht,
Gerechtigkeit gebeut’s, mich hält Erbarmen!““ –

94
Sichtbar macht’ Er die Red’, Er, deß Gesicht[1]

Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen;
Nur uns ist’s neu; denn diese Welt kennt’s nicht!

97
Indeß ich mich ergötzte hinzuspähen

Nach solcher Demuth Bildern, deren Werth
Noch Er erhöht, durch welchen sie entstehen,

100
Da flüsterte Virgil, mir zugekehrt:

„Sieh Jene dort, die langsam, langsam schreiten,
Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt.“

103
Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten

Mein Streben war, vor Freud’ und Ungeduld
Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten.

106
Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld[2]

  1. 94. Hiernach ist Gott selbst der Urheber dieser Bilder, die hier und anderwärts bald aus der Bibel, bald aus der Geschichte, oft sogar aus der heidnischen Götterlehre entnommen werden. [Ihm nicht, nur uns sind diese Bilder neu, weil in unsrer Welt solche Demuth nicht mehr ist, wie sie diese Vorbilder zeigen.]
  2. [106. Die Vorstellung der Schwere der Bußen in diesem und [256] jenem Leben soll nicht entmuthigen. Sie sind jedenfalls nur zeitlich, bis zum Weltgericht, während die Strafen ungebüßter Sünde ewig sind.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_255.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)