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Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
Und preßt mein Herz durch Unthat und Verbrechen.“

127
Durchs Ohr ward Jenen unser Gehn bekannt,[1]

Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.

130
Indem wir einsam nun von dannen schritten,

Scholl eine Stimm’ uns zu, eh’ wir’s gedacht,
Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:

133
Mich tödtet, wer mich trifft! sie rief’s mit Macht[2]

Und floh im schnellen Flug dann, und verhallte,
Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.

136
Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,

Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
Die schrecklich, wie ein Donnerschlag erschallte:

139
Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror![3]

Und als ich an Virgil mich drängen wollte,[4]
Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.

142
Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,

Da sprach Virgil: „Dies ist der harte Zaum,
Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.

145
Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,

So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.

148
Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,

  1. 127. Die Schatten würden hier, wo nur die Liebe und das Streben nach dem Guten wohnt, die Dichter gewarnt und ihnen den rechten Weg gezeigt haben, wenn sie einen falschen Weg eingeschlagen hätten. Darum konnten die Letztern, da Jene schwiegen, sicher sein, nicht zu irren.
  2. 133. Hier folgen Beispiele von der Wirkung des Neides als Zügel (Ges. 10, 28), um dies Laster zurückzudrängen. Mich tödtet, wer mich trifft - Worte Kains, als er seinen Bruder Abel aus Neid erschlagen. (Moses B. 1 Kap. 4 V. 14.)
  3. 139. Aglauros, neidisch auf ihre Schwester Herse, welche von Merkur geliebt war, und aus Neid dieser Liebe entgegentretend, wurde in Stein verwandelt.
  4. 140. Nicht die Angst ist’s, die uns vorwärts bringt, sondern die besonnene Erwägung. Ohne diese treibt die Bangigkeit uns rückwärts. Daher macht in den folgenden schönen Versen die Vernunft ihre Rechte wieder geltend. Die nähere Erläuterung derselben finden wir im folgenden Gesange V. 49 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_279.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)