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Noch war es je. Du weißt, in der Natur
Und in der Seel’ entkeimen ihre Triebe.

94
Nie irrt die erste von der rechten Spur.

Die zweite kann im Gegenstande fehlen,
Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.

97
Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,

Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen.

100
Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald

Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
So thut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.

103
So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,

In euch die Saat zu jeder Tugend streu’n,
Doch auch zu Allem, was wir Laster nennen.

106
Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freu’n

Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
Drum hat kein Ding den Selbsthaß je zu scheu’n!

109
Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden

Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
Muß dies zu hassen jeder Trieb vermeiden.[1]

112
Drum kannst du, folgr’ ich richtig, deutlich sehn:

Am Nächsten nur hat Liebe man zum Schlimmen,
Sie kann aus dreifach schmutz’gem Quell entstehn.

115
Der hofft zur Herrlichkeit empor zu klimmen

Durch Andrer Fall, und dieses muß zur Lust,


  1. [111. Ebenfalls nach Thomas. Gott kann seinem Wesen nach nicht gehaßt werden, wenn dies erkannt wird – nur seinen Wirkungen nach.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_295.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2018)