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Mein Durst durch Hoffnung Lind’rung schon empfand.

40
Und Jener sprach: „Den Berg, den heil’gen, hehren,

Nichts kann ihn sonder Ordnung treffen, kein
Ihm Fremdes duldet das Gesetz der Sphären.

43
Frei ist von jedem Wechsel er; allein

Wenn, was vom Himmel selber ist gekommen,
Zurückkehrt, mag es hier von Wirkung sein.

46
Wer jene kleine Stieg’ emporgeklommen[1]

Von dreien Stufen, sieht nicht Reif noch Thau,
Nicht Hagel mehr, noch Schnee, noch Regen kommen.

49
Kein Wölkchen trübt hier je des Himmels Blau,

Nie blinkt des Blitzes schnell verschwundne Helle,
Nie baut sich Iris Brück’ auf dunkelm Grau.

52
Kein trockner Dunst steigt über jene Stelle,[2]

Von der ich sprach, auf der die Füße stehn
Des Pförtners von der diamantnen Schwelle.

55
Von Stürmen, die im Erdenschooß entstehn,

Mag’s sein, daß unten oft der Berg erdröhne;
Hier – wie? begreif’ ich nicht – ist’s nie geschehn.

58
Hier bebt er, wenn in neuer Rein’ und Schöne[3]

Die Seele fühlt, sie woll’ erhoben sein;
Ihr Steigen fördern dann die Jubeltöne.


  1. 46. Erst hinter der Pforte des Fegefeuers, die im neunten Gesange beschrieben ist, beginnt die ewige Ordnung [und das Walten der rein himmlischen Kräfte].
  2. [52 – 55. „Nach Dante’s Theorie erzeugen die trockenen Dünste Blitze, wenn sie zur Höhe steigen und Erdbeben, wenn sie in die Erdhöhlen dringen.“ Witte]
  3. [58–72. Hier erfahren wir also, warum der Berg gebebt und wie und wann die völlig geläuterten Seelen, jede aus ihrem Kreis, sich ins Paradies, das wir in Ges. 28 kennen lernen werden, emporschwingen. Es geschieht jedesmal, wenn eine Seele den vollen, ganz freien Willen errungen hat, von nun an rein dem Leben in Gott zugewendet zu bleiben, während sie bisher dies wohl manchmal gewünscht, aber selbst vorher noch weitere Büßung nöthig gefühlt hat[WS 1] (V. 64). Wenn der neue geistliche Wille den ganzen Kelch der Buße ohne Widerspruch geleert hat, um des heiligen Zieles der Reinigung willen, dann erst ist er frei, ist in Uebereinstimmung mit dem Göttlichen, kann und muß sich zur Seligkeit erschwingen. Ein edler tiefer Gedanke! Und weil somit die ursprünglich göttliche Seele zu Gott zurückkehrt (V. 45 u. 46), darum setzt dies himmlische Ereigniß den Berg in Bewegung [317] (wie einst Jesu Auferstehung) und die Mitbüßenden vermögen sich neidlos mitzufreuen.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gefühl that
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_316.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)