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In ein natürlich Becken überwallt.

46
Daß beides zum Gebild zusammenfluthe,[1]

Ist leidend dies, und thätig das, vom Ort,
In dem die hohe Bildungskraft beruhte.

49
Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;

Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.

52
Es wird die Seel’ aus thät’ger Kräfte Streben,[2]

Wie die der Pflanze, die nur still’ schon steht,
Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.

55
Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,

Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
Beginnt die thät’ge Kraft, was sie gesä’t.

58
Wie nun des Herzens Zeugungskräfte walten,

Wird ausgedehnt die Frucht, geschwellt, entwirrt,
So, daß die Glieder sämmtlich sich gestalten.

61
Doch, Sohn, wie nun das Thier zum Menschen wird,

Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,


  1. 46. Thätig wird das männliche Blut durch die im Herzen empfangene Bildungskraft.
  2. [52 ff. Die Grundtendenz der Dante’schen Darlegung ist: eine Zersplitterung der Seele in eine bloße Mehrheit von Kräften – („die dreifache Seele“ Fegf. 4. 1 ff.) abzuweisen und der Seele ihre Einheit, ihre stufenweise, einheitliche Voll-Entwicklung mit ihrem göttlichen Ursprung und ewigen substanziellen Geistesgehalt zu retten. Dies geschieht durch eine Verschmelzung des Traduzianismus und Creatinismus. –: Der Mensch hat allerdings zuerst ein rein vegetatives Leben, V. 53. Aber während die Pflanze dabei stehen bleibt, so entfaltet sich das Leben des Ungeborenen jetzt erst recht weiter zur Bewegung und Empfindung, V. 54 ff. (sensitive oder Thierseele, V. 61). Der Uebergang von Einem zum Anderen geschieht durch den Zustand des Pflanzenthiers als Mittelglied V. 56 (Meerschwamm). Endlich, nach erfolger Entwickelung der menschlichen Gestalt (V. 58 ff.), vereint sich, durch einen unmittelbaren Schöpferact Gottes, der Geist von oben, wie die Sonne sich dem Rebensaft vermählt, mit dem Gegebenen zur vollkommenen (nach Parad. 32, 64 jedesmal individuell bestimmten) Menschenseele – rationelle oder intellective Seele – deren Hauptfunction das Kreisen in sich selber, das persönliche Selbstbewußtsein, ist, V. 61, 72–78. – Bis auf das Letzte, was der Philosophie, beziehungsweise dem Glauben angehört, finden wir also den Dichter, mit der Scholastik, schon ganz in Uebereinstimmung mit der neueren Physiologie.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_338.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)