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Und wenn die andern Kräfte stumm und stille,

Bleibt, schärfer als vorher, in Macht und That
Erinnerung jetzt, Verstandeskraft und Wille.

85
Und ohne Säumen fällt sie am Gestad’,

Dem oder jenem, wunderbarlich nieder,
Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.

88
Ist sie nun am bestimmten Orte wieder,

So strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
Und wirkt, wie einst, durch die lebend’gen Glieder.

91
Und wie die Luft, vom Regen feucht und schwer,

Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
Im Wiederglanz vom Sonnen-Feuermeer;

94
So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,

Worein die Bildungskraft ein Bildniß prägt,
Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.

97
Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,

Wo irgend hin des Feuers Pfade gehen,
So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.

100
Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,

Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
Auch jeder Sinn mit Inbegriff vom Sehen.

103
Und daher sprechen, daher lachen wir,

Und daher weinen wir die bittern Zähren
Und seufzen laut auf unserm Berge hier.

106
Der Schatten drückt sich’s aus, je wie Begehren

Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram;
Dies mag dir, was du angestaunt, erklären.“

Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_340.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)