Seite:Dante - Komödie - Streckfuß - 357.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
52
Und wie im Tanz ein Mägdlein kaum empor

Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
Und einen Fuß kaum setzt dem andern vor:

55
So sah ich sie durch bunte Blumen schreitend,

Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend,

58
So daß ich bald den Wunsch befriedigt fand,

Indem ich, wie sie näher hergezogen,
Den Sinn des süßen Liedes wohl verstand.

61
Sobald sie dort war, wo des Flusses Wogen

Den grünen Rasen am Gestad’ besprühn,
Erhob sie hold der Wimpern schöne Bogen.

64
Nicht mocht’, als Amor, übermäßig kühn,

Die Mutter wund mit seinem Pfeile machte,
In solcher Lust Cytherens Auge glühn.

67
Am rechten Ufer stand sie dort und lachte,

Und pflückte Blumen von der Wiese Saum,
Die ohne Saat hervor die Höhe brachte.

70
Der Bach, er trennt’ uns um drei Schritte kaum;

Doch Hellespont, den Xerxes überschritten,
Noch jetzt dem höchsten Menschenstolz ein Zaum,

73
Hat schärfer nicht Leanders Haß erlitten,

Indem er Sestos und Abydos schied,
Als meinen Er, ein Hemmniß meinen Schritten.

76
„Ihr seid hier neu, und weil in dem Gebiet,“[1]

Begann sie nun, „das an der Menschheit Morgen
Zu ihrer Wiege Gott, der Herr, beschied,

79
Ich lächle, staunt ihr noch und seid in Sorgen?[2]

Doch zeigt der Psalm: Herr, du erfreutest mich
Euch klar das Licht, das Nebel noch verborgen.

82
Du, der du vorn stehst und mich batest, sprich;

Noch scheinst du einem Zweifel nachzuhängen,
Drum frage nur, und ich befried’ge dich.“


  1. [76. „Ihr“ Man erinnere sich, daß Virgil und Statius, als schweigende Begleiter noch da sind.]
  2. [79 ff. „Delectasti me domine.“ Anfang des 92. Psalmen, welches Citat, in Verbindung mit dem Lächeln Matildens, eben die Befriedigung andeuten soll, welche auch die thätige Gottesliebe gewährt. Denn Befriedigung, geistlicher Genuß ist ein nothwendiges Ingrediens der christlichen Vollkommenheit, sowie des höchsten Gutes der Seligkeit.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_357.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)