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Wir aus, bestimmt zu Dienerinnen ihr.

109
Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;

Dir schärfen dann, für’s heitre Licht darin
Den Blick die Drei, die schauend tiefer dringen.“

112
Sie sangen diese Worte zum Beginn,

Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.[1]
Dort wandte Sie nach uns das Antlitz hin.

115
Sie sprachen dann: „Hier darfst du frei betrachten,

Wir stellten dich vor jener Augen Licht,
Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten.

118
Mir weckt’ ein glühend Sehnen ihr Gesicht,

Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
Die ihren wichen von dem Greifen nicht.

121
Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,[2]

Gleichwie die Sonn’ im Spiegel, schimmernd klar,
Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.

124
Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,

Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
Obwohl das Urbild stets dasselbe war!

127
Indeß die Seel’ in Staunen und Entzücken

Die Speise kostete, die größerm Drang
Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,

130
Da sah ich jene Drei vom höchsten Rang,[3]

Dies zeigte die Geberd’, uns nahe kommen,


  1. 113. Also bis zu Christo hin bringen die weltlichen Tugenden den Dichter. – Beatrice, welche nur auf den Greifen sah, mußte nach dem Dichter gewand stehen, da dieser vor der Brust des Greifen stand.
  2. [121. Die Vereinigung und wieder wechselseitige Unterscheidung der göttl. und menschlichen Natur in Christo (wörtlich „das Doppelthier“, Adler und Löwe), welche Dante in Beatricens Augen sieht, d. h. welche der Mensch durch die Gnade erkennt. Im Uebrigen ist Beatrix noch verschleiert. Es kann also noch kein vollkommenes, nur ein ahnendes Vor-Erkennen sein.]
  3. [130. Wenn „die drei“, Glaube, Liebe, Hoffnung, welche doch dem Menschen erst durch die entschleierte Gnade in Paradies Ges. 24 ff. werden sollen, hier schon für ihn bittend eintreten, so erkennt man in ihnen leicht die Specification der Gnade nach ihrer dreifachen, im Menschen sich subjectivirenden, Kraft.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_379.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)