Seite:Dante - Komödie - Streckfuß - 386.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
97
Die sieben Nymphen sah ich sie umfassen,

Im Kreis, die Lichter haltend, die vom Zwist
Des Nord- und Südwinds nie sich löschen lassen.

100
„Als Fremdling weilst du dort nur kurze Frist,[1]

Und wirst mit mir als ew’ger Bürger bleiben
In jenem Rom, wo Christus Römer ist.[2]

103
Zum Heil der Welt mit ihrem bösen Treiben

Schau auf den Wagen, um, was du gesehn,
Zurückgekehrt, den Menschen zu beschreiben.“

106
Beatrix sprach’s – wie konnt’ ich widerstehn?

Ganz so, wie’s der Gebieterin gefallen,
Ließ ich voll Demuth Geist und Auge gehn

109
Nicht sah man je so schnell aus Himmels Hallen,

Aus dichter Wolk’, ein flammendes Geschoß,
Den Blitz aus fernster Höhe niederfallen,

112
Als durch den Baum herab Zeus’ Vogel schoß,[3]

  1. 100. Auf der Erde, wohin der Dichter bald zurückkehren, und wo er das, was er nun sehen wird, verkünden soll.
  2. [102. Im oberen Rom, d. h. im himmlischen Jerusalem. – Vgl. Ges. 26, 128 ff.]
  3. [112. Baum und Wagen werden immer noch neben- und beieinander gedacht. Aber das mögliche Mißverhältniß zwischen beiden ist nach D’s. Anschauung ein zwei- (vgl. zu 38) bezhdl. dreifaches. Der weltliche Arm kann sich Uebergriffe erlauben 1. feindseliger Weise durch Verfolgung der Kirche; 2. freundlicher Weise durch weltliche Beschenkung derselben; 3. das geistiche Haupt der Kirche kann, selbst nach weltlicher Herrschaft strebend, sich so von der providenziellen Stütze des Kaiserthums loslösen. – Daher sehen wir zuerst einen Adler „durch den Baum herab“ feindlich den Wagen überfallen und können nicht einsehen, weshalb nun hier der Baum seine Bedeutung wechseln und zum „Weltreich“ werden soll. Im Gegentheil. Haben wir oben die Bedeutung desselben als Symbol des „Kaiserthums als göttlicher Stiftung“ begründet, so tritt dem hier gerade der „Adler“ gegenüber als Bild der empirischen Kaisermacht, welche das providenzielle Institut des röm. Reichs seiner Bestimmung entgegen zur Vergewaltigung der Kirche mißbraucht („durch den Baum herniederschießend“) und dasselb-dadurch nicht nur seiner gottgewollten „Blüte“ (Christianisirung) beraubt, sondern auch in seinem tiefsten göttlichen Grund (Mark) erschüttert (114). Daß der Adler, auch bei Dante, das äußere Machtsymbol des Kaiserthums sei, zunächst der heiligen, gottverliehenen, aber auch der unheiligen, widerchristlichen und ordnungswidrigen Kaisermacht, geht aus Parad. 6, 1 ff. und 6, 32 mit Ges. 19 hervor. Im letzteren Sinne in unsrer Stelle erscheinend, deutet er also auf die Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte, wie gleich nachher [387] der Fuchs auf die inneren Feinde, welche als Irrlehren in die Kirche einbrachen und von Beatrix, als der himmlischen Erleuchtung, vertrieben werden.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_386.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)