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Im Geist erkannt, so sei es ausgesprochen –
Da kommt, von Schranke frei und Hinderniß,

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Fünfhundertzehn und fünf hervorgebrochen,

Ein Gottgesandter, der die Dirn erschlägt
Zusammt dem Riesen, der mit ihr verbrochen.[1]


  1. [45. Die verkündete Rache Gottes gegen die Vernichter der Kirche und Störer der politisch-kirchlichen Weltordnung vollzieht sich durch einen „Erben des Adlers“ V. 37, also einen politischen Helden, der entweder selbst Kaiser ist oder das, mit der Kirche ebenfalls gesunkene Kaiserthum mitwirkend erheben hilft. Dieser deutlichen Grundvoraussetzung entsprechend muß die geheimnißvolle Zahl 515, womit (wieder nach der Offenb. Joh. 13, 18), der Verheißene bezeichnet wird, gemäß der lateinischen Zahlenschrift DXV, mit Versetzung der letzten Buchstaben DVX, dux, gelesen werden und nicht, wie Andere wollen, Domini Xristi Vicarius. Denn das letztere würde einen geistlichen Retter, einen Papst bedeuten, während das erstere zusammenhangsgemäß auf einen Herzog oder Feldherrn weist. – Aber wen Dante mit diesem Dux meine, dies ist eine Frage, welche wohl für immer unentschieden bleiben muß, da sich bestimmte historische Anhaltspunkte zu ihrer Lösung bis jetzt vornemlich deßhalb nicht finden lassen, weil man über die genauere Abfassungszeit der einzelnen Theile des Gedichts, besonders dieser Stelle und der ähnlichen in Hölle, 1, 101 nur Vermuthungen hat. Daß in diesen beiden Stellen der Verheißene identisch und zwar Can grande von Verona sei (Philalethes)[BN 1], erscheint durch chronologische und sachliche Bedenken zweifelhaft. Abgesehen davon, daß auch dort, in Hölle 1, die Deutung des Windhunds auf den Skaliger keineswegs absolut die einzig mögliche, wenn auch die wahrscheinlichste ist, – konnte Dante auch hier, wo es sich nicht nur um Vertreibung der Wölfin, der Ländergier Roms, sondern um die gewaltige Aufgabe der vollen Wiederherstellung[WS 1] der Kaisermacht und Zurückführung des Papstthums aus Frankreichs Banden handelt, an den Can denken, der doch bei aller hohen Achtung und Bedeutung nur ein untergeordneter Einzelfürst war? und wenn er damals an ihn dachte, als Hölle 1 geschrieben wurde, konnte er es jetzt noch thun, nachdem indessen Can zwar immer noch der geachtete und sein kleines Reich mehrende Fürst geblieben, aber weder Statthalter Heinrichs VII., noch selbst ein Reformator geworden war? Oder lag die Abfassung von Hölle 1 und Fegef. 33 der Zeit nach so wenig auseinander, daß entweder das Fegefeuer unglaublich schnell, fast mit der Hölle, geschrieben oder aber andernfalls (Notter) die Stelle in Hölle 1 nachträglich eingeschoben ist? – Und eben dasselbe chronologische Bedenken ist es, welches der Deutung des Dux auf Heinrich VII. entgegensteht. Denn schon Fegef. 6, 100 ff. weist entschieden auf die Zeit nach Albrechts Tode (1308), Ges. 7, 96 fast handgreiflich auf Heinrichs Römerzug 1310, dem 1313 Heinrichs Ende folgte. Dadurch wird des Kaisers hoffnungsvolle Erwähnung in unsrer, doch gewiß viel späteren Stelle zur Unmöglichkeit. Da wir aber den Recurs auf einen reformatorischen Papst an dieser Stelle unter [392] allen Umständen für verwerflich halten, so bleibt nur der Ausweg, den auch Witte adoptirt: anzunehmen, daß Dante selbst hier an eine bestimmte Person nicht gedacht, sondern vielmehr, nach allen Enttäuschungen in Beziehung auf den Can und Heinrich VII.[WS 2], hier im Allgemeinen seiner unauslöschlichen Ueberzeugung von der unfehlbaren, gottverordneten endlichen Besserung der heillosen kirchlichen und politischen Zustände durch einen gottgesandten Helden Ausdruck gegeben habe, welch’ letztere für ihn zugleich der Sieg des Rechts und der Wahrheit war. Daß hiebei besondere astrologische Weissagungen, an welche auch D. glaubte, mit im Spiel waren, deutet V. 40 an. Aber im Ganzen, dünkt uns, ist es des Genius würdiger, auf diese allgemeine Weise mit wahrhafter Geistesprophetie das Panier der Hoffnung auf Besserung der Zeitlage hoch zu halten, – welche sich denn auch, obwol unter andern Bedingungen erfüllt hat – als mit weissagerischer Bestimmung[WS 3] eines einzelnen Mannes sich zu irren! – Es ist hier der Ort, auch noch der übrigen, durch die ganze göttl. Kom. sich hindurchziehenden, Stellen zu gedenken, in welchen der Dante’sche Held und Erretter prophezeit wird. Wenn wir Parad. 9, 139 und 22, 14 ff., als auf rein kirchliche Reformation gehend, ausscheiden, sind es, außer den eben besprochenen Versen in Hölle 1 und Fegef. 33, noch fünf weitere Stellen, nämlich: Fgf. 7, 96; 20, 13 ff.; Parad. 17, 91 ff; 27, 61 ff. 142 ff. Von diesen deutet Fgf. 7 auf Heinrich VII. (worüber schon gehandelt ist) und Parad. 17, 91 auf Can grande, die übrigen Stellen aber schon dem Ausdruck nach auf keine bestimmte Persönlichkeit, ja die letzte derselben (Parad. 27, 142 ff.) entrückt sogar den Eintritt der Errettung und Rache mit den allgemeinsten Ausdrücken auf Jahrtausende hinaus! Dieser Thatbestand, glauben wir, sagt deutlich genug, daß unser Dichter, trotz seiner eigenthümlichen und zähen Anschauung vom röm. Kaiserthum, denn doch so verrannt nicht war, um nicht, nach Heinrichs Tode, weder auf Can noch auf eine andre lebende Persönlichkeit mehr allzu idealische Hoffnungen zu setzen, daß er von da ab mehr und mehr resignirte, irgendwo einen Hoffnungsstern zu sehen, und nur fest den Glauben bewahrte, daß die göttl. Vorsehung (Parad. 27, 61), zu ihrer Zeit in der Zukunft ein Werkzeug zu finden wissen werde und müsse. Und stimmt dies zu unsrer hierorts vom dux gegebenen Auslegung, so kann umgekehrt Parad. 17, 91 nicht als Gegenbeweis angeführt werden, da dort Can zwar sicher, aber ganz unstreitig in anderem, in rein persönlichem Sinn, als edler Charakter und Wohlthäter Dante’s, genannt ist. Um Wiederholungen zu ersparen, wolle sich der Leser später dort, sowie an den andern betreffenden Stellen, des hier im Zusammenhang Bemerkten erinnern.]

Berichtigungen und Nachträge

  1. Ges. 33, 45 Anm: Z. 19, statt „(Philalethes)“ lies: „(Philalethes, Wegele u. a, neuestens auch Scartazzini).“ Berichtigungen und Nachträge, S. 622

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Widerherstellung
  2. Vorlage: Heinrich XVII.
  3. Vorlage: Bestimmmung
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_391.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)