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Verbleiben drob die Heerden und die Saaten.

52
Merk, was ich sagt’ und höre mein Gebot:

Du sollst es dort den Lebenden erzählen,
Im Leben, das ein Rennen ist zum Tod.

55
Nicht sollst du, wenn du dorten schreibst, verhehlen,

Wie du den Baum gesehn. Erinnre dich:
Du sahst zu zweien Malen ihn bestehlen.[1]

58
Wer diesen Baum bestiehlt und freventlich

Verletzt, kränkt Gott mit thät’gen Lästerungen,
Denn Er schuf heilig nur den Baum für sich.

61
Für solchen Raub hat qualenvoll gerungen

Fünftausend Jahr und mehr der erste Geist[2]
Nach Ihm, des Tod des Bisses Fluch bezwungen.

64
Wohl schlummert dein Verstand, wenn du nicht weißt,[3]

So hoch sei jener Baum aus tiefern Gründen,[4]
Wenn dir des Gipfels Bau dies nicht beweist.


  1. [57. Bestohlen wurde der Baum erstmals durch Adam (nach seiner ersten-) dann durch Loslösung des Papstthums von Rom (nach seiner zweiten Bedeutung.)]
  2. [62. Adam.]
  3. [64. Erinnerung, daß Dante erst aus der Lethe getrunken, noch nicht aus der Eunoë, was am Ende des Gesanges bevorsteht, (vgl. zu 28, 25 ff. und Vorbem. zu Ges. 31). In selbem Sinn ist leicht V. 101 zu verstehen. Aber auch die Worte V. 67–69, 73–75 können nur dieser Erinnerung gelten, so auffallend auch, hier im Paradies, ihre starke Ausdrucksweise ist. Es mag darum nebenbei in denselben angedeutet werden sollen, daß auch die Rechtfertigung und Erneuerung nicht auf einmal und auf Erden niemals ganz alle Reste und Trübungen der Sünde im Geist zu tilgen vermöge.]
  4. [65 ff. 70 ff. Die Erkenntniß, um welche es sich hier handelt [394] und welche Dante offenbar noch einmal besonders betonten will, ist diese: Der Baum, von dem Ges. 32, 40 gesagt worden, daß er sich im umgekehrten Verhältniß zu irdischen Bäumen, nach oben erbreitere und dadurch unersteiglich werde, ist aus einem „tieferen“, moralischen Grunde so gebaut, einem Grunde, den Dante aus „den Zeichen“ der eben geschauten Vision (V. 72) hätte merken sollen. Gottes Gerechtigkeit wollte nämlich damit der Menschheit andeuten, daß überhaupt auf der Welt Gesetz und Gehorsam sein müsse, daß speciell das röm. Kaiserthum von keiner menschlichen Macht angetastet werden dürfe.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_393.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)