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Zu malen aus dem Bild in meinem Geist,

25
Dann siehest du mich nahn der theuren Pflanze[1]

Und, durch den Stoff und dich deß werth, geschmückt
Und reich gekrönt mein Haupt mit ihrem Kranze.

28
Wenn man ihr Laub, o Vater, selten pflückt,

Um Kaiser- oder Dichter-Sieg zu ehren,
Weil ird’scher Wunsch mit Schuld und Schmach uns drückt,

31
Muß Freud’ es wohl dem freud’gen Gott gewähren,

Den Delphos preist, kehrt noch mit kühnem Muth
Nach Daphne’s Laub ein Herz all sein Begehren.

34
Und weckt ein kleiner Funk’ oft große Glut,

So fleht nach mir zu höherer Verkündung
Ein Andrer wohl um deine Hülf’ und Hut. –

37
Den Sterblichen entsteigt aus mancher Mündung[2]

Das Licht der Welt; allein in Einer sind
Vier Kreise mit drei Kreuzen in Verbindung,

40
Wo’s bessern Lauf mit besserm Stern beginnt,

  1. [25–36. Große, ächte Dichterworte über die Dichtkunst selber! – Auch der heilige Sang verschmäht nicht Daphne’s Laub (in welches diese, von Apoll verfolgt, sich verwandelt), den geliebten Lorbeer, um so weniger, als weder Dichter- noch Kaiser-Stirnen, von irdischem Streben irregeleitet, „allzuhäufig um diesen reinsten Siegeslohn ringen“, zu jener, wie zu allen Zeiten. (Bereits also eine, an die Adresse des gesunkenen Kaiserthums gerichtete politische Beziehung!) Aber der schönste Lohn der Dichtung ist doch, „mit kleinem Funken große Glut zu wecken“, d. h. zündend auf die Nachwelt zu wirken und vielleicht noch größere Dichter hervorzurufen – eine Wirkung, die Dante auch seinem Werke nicht mit Unrecht hier, im vollen Selbstbewußtsein des Genius, geweissagt hat.]
  2. [37 ff. Der Gang der Erzählung wird mit diesen Versen wieder aufgenommen. Sie wollen, einfach ausgedrückt, sagen, es sei die Zeit des Frühlingsanfangs gewesen, in welchem ein neues Leben durch alle Creatur ströme – also die rechte Zeit auch für des Dichters Aufflug zum Höchsten! Dieser Gedanke wird aber aus der Astrologie begründet, welcher D. sehr ergeben war. Die verschiedenen Stellen, an welchen die Sonne emporsteigt, werden drastisch „Lichts-Mündungen“ oder Schleußen genannt. Unter denselben ist eine hervorragend wichtige diejenige, bei welcher, wie eben jetzt, die Sonne im Widder steht. Denn da „verbinden sich vier Kreise zu drei Kreuzen“. Es durchschneiden sich nämlich der Horizont, der Zodiakus, der Aequator und der Aequinoctialkolur (ein über die Pole rings um den Himmel gelegter Kreis) und bilden durch ihre Kreuzung ein dreifaches Kreuz. Dies hält D. für den Grund der Frühlingserscheinung, durch die „der Erde Wachs ein schöneres Gepräge erhält.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)