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In dem Ergründeten uns weiter zieht.

7
Schon glänzt, ich seh’s in deinem Blick verkündet,

In deinem Geist ein Schein vom ew’gen Licht,
Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.

10
Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,[1]

So ist’s, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.

13
Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,[2]

Gebrochenes Gelübd’ ersetzen kann,
Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren?“

16
So fing ihr heil’ges Wort Beatrix an,

Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
Ununterbrochen fort, was sie begann.

19
„Die größte Gab’ aus Gottes Vaterhänden

Und seiner reichen Güte klarste Spur,
Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,

22
Ist Willensfreiheit, so die Creatur,

Der Er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
Von diesen jede, doch auch diese nur.[3]

25
Hieraus ersieh’ den hohen Werth des frommen[4]

Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
Daß Gott, was du geboten, angenommen.

28
Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt

  1. 10. Nur das wahre ewige Licht erzeugt Liebe. Die Liebe zu irdischen Dingen entsteht nur dadurch, daß dieselben, auch ohne daß wir’s ahnen, von einem Strahl des ewigen Lichtes beleuchtet werden – etwas Göttliches in sich haben [– ein Wort von großartiger Wahrheit und Tragweite!]
  2. [13. Die folgende Theorie von den Gelübden, um deren mögliche oder nicht mögliche Vertauschung mit anderen Opfern es sich handelt, ist nach Thomas v. Aquino und Hugo von S. Victor. Wir wollen den Leser nicht mit detaillirter Darstellung derselben aufhalten, da die Stelle poetisch wenig anziehend ist.]
  3. 24. Alle vernünftigen Geschöpfe sind begabt mit Willensfreiheit, aber auch nur die vernünftigen. [Im Uebrigen vgl. vorigen Ges. zu V. 73 ff.]
  4. 25. Wer Gott ein Gelübde ablegt, kann nicht mehr nach freiem Willen handeln, sondern muß, auch wider Willen, dem Gelübde Genüge leisten. Daher der hohe Werth des Gelübdes, durch welches man die größte der göttlichen Gaben, die Willensfreiheit zum Opfer bringt.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_423.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)