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Sechster Gesang.[1]
Im Merkur. Justinian’s Rede vom kaiserlichen Adler (Geschichte des heil. römisch-deutschen Reichs; Dante’s politisches System.) Bewohner des Merkur.

1
„Nachdem der Kaiser Constantin entgegen[2]

Der Himmelsbahn gewendet jenen Aar,
Der einst ihr folgt’ auf des Aeneas Wegen,

4
Da sah man mehr als schon zweihundert Jahr

Zeus Vogel an Europens Rand verbringen,
Nah’ dem Gebirg, dem er entflogen war.

  1. [VI. Dante’s mehrerwähntes und schon in der Vorbem. zur Hölle kurz skizzirtes politisches System beruht auf 3 Hauptsätzen. Im Fegf. Ges. 16, 94 ff. sahen wir den ersten, philosophischen Hauptsatz von epochemachender Tragweite entwickelt: die Nothwendigkeit einer selbstständigen Staatsgewalt zur weltlichen Lenkung und Beglückung der Völker – der moderne Staatsgedanke! Der zweite, geschichtliche Hauptsatz nun wird im vorliegenden Gesang dargelegt, wonach „der Adler“, die göttliche Institution der Weltherrschaft, in Aeneas den Römern verliehen ist, aber von ihnen, von der Gründung Rom’s an, durch die Zeiten der Könige, der Republik, der Cäsaren, in ununterbrochener Continuität auf Karl den Großen und die weiteren deutschen Kaiser überging, so daß also das deutsche, damalige Kaiserreich und kein anderes ihm als das legitime, providenzielle Weltreich erscheint, welches auch Italien beherrschen sollte und dessen Wunden allein heilen könnte (Fgf. 6, 76 ff.) Diese eigenthümliche Anschauung des Dichters kennt jedoch der Leser auch schon aus Hölle 2, 13–30, sowie endlich der dritte Satz von der resultirenden Stellung dieses Dante’schen Universalstaats zum Papstthum u. umgekehrt – die eigentliche Spitze des Systems – zu Fegf. Ges. 32, V. 38 u. 112 entwickelt worden ist. So wird denn der Leser im Zusammenhang dieser Stellen den vorliegenden Gesang leicht zu verstehen und zu ergänzen vermögen und wir können uns bei den Anmerkungen aufs unmittelbar Nothwendigste beschränken, indem wir nur noch aus der Anm. zu Hölle, Ges. 9, V. 61 ff. extr. wiederholen, daß die zusammenhängende Explication dieses hochinteressanten Systems von Dante in einem besonderen Buch „de monarchia“ gegeben wird, dessen Inhaltsdarstellung, die hier nicht möglich ist, der Herausgeber in seiner Einleitungsschrift zu Dante II. 2. gegeben hat.]
  2. 1–6. Der Weg der Gestirne geht für unser Auge von Osten nach Westen. Diesem Wege folgte Aeneas, als er, der erste Begründer der römischen Macht, von Asien nach Italien zog. In entgegengesetzter Richtung, nämlich vom Westen zum Osten trug Constantin den Adler, als er seinen Sitz von Rom nach Byzanz verlegte [nahe dem Berg Ida, von dem Aeneas auszog.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_428.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)