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100
Nicht Phyllis, von Demophoon betrogen,

Und nicht Alcid, nachdem in seine Brust[1]
Eurytos Tochter siegend eingezogen.

103
Doch fühlt man hier nicht Reue drob, nein Lust,

Ganz die Erinnerung der Schuld verlierend,
Und nur des ew’gen Ordners sich bewußt.

106
Und jene Kunst, die Welten herrlich zierend,[2]

Sehn wir, und sehn zu gutem Zwecke nun
Die obre Welt die untere regierend.

109
Doch um dem Wunsche ganz genug zu thun,

Der dich durchdrungen hat in dieser Sphäre,
Darf ich noch nicht in meiner Rede ruhn.

112
Du möchtest wissen, wer der Schimmer wäre,

Der nahe hier so strahlt, als ob die Glut
Der Sonn’ in reinem Wasser sich verkläre.

115
So wisse, daß darinnen Rahab ruht,[3]

Die hier in unsern Orden aufgenommen,
Sich kund im höchsten Glanz des Sternes thut.

118
Vor jedem andern Geist der Höll’ entnommen,

Ist sie zum Stern, wo sich vom Erdenrund[4]
Der Schatten spitzt, durch Christi Sieg gekommen.

121
Der Sieg, den Er, an beiden Händen wund,

Errungen hat, wird hier von ihr verkündet;
Den Himmeln thut sie als Trophä’ ihn kund,

124
Weil sie des Josua ersten Ruhm begründet

Durch ihre Hülf’ in jenem heil’gen Land,
Das jetzt der Papst kaum werth der Sorge findet.

127
Und deine Stadt, die einst durch den entstand,[5]

  1. [101. Herkules liebte Iole, um deren willen Dejaneira ihn vergiftete.]
  2. [106. Vgl. V. 34. Frei von bitterer Erinnerung sehen die Seligen in allen ihren Lebensführungen und Lebensirrungen nur „die Kunst des höchsten Ordners“, „die göttl. Weisheit, welche auch den Einfluß der Sterne voraussehend, denselben in ihren Heilsplan aufnahm.“ Notter.]
  3. 115. Rahab. [Vgl. Josua 2, Ebräer 11, 31.]
  4. 119. Nach Ptolemäus reicht der kegelförmige Schatten der Erde bis zur Venus.
  5. 127. Nach dem Vorwurf, den der Dichter im vorigen Verse dem Papst gemacht, daß er sich um das heilige Land nicht bekümmere, entwickelt [452] er die Gründe, aus welchen diese Achtlosigkeit herrührt. In Florenz war eine Hauptmünzstätte, von wo die Floren ausgingen. Deshalb glaubt er die Stadt vom Teufel selbst gegründet, denn dies Geld macht den Hirten zum Wolf. Es verursacht, daß man nicht die Bibel, sondern die Decretalen, die kirchlichen Gesetze, studirt, aus denen zu ersehen ist, in welchen Fällen die Priester für Indulgenzen, Dispensationen etc. Geld verdienen können. Wie fleißig man darin studire, zeigt der beschmutzte und abgegriffene Rand des Buches. Aber bald wird eine andere Ordnung der Dinge eintreten, und Rom wird nicht mehr Zeugin sein, daß der Papst, seiner Braut, der Kirche, untreu, um andere Dinge buhle.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)