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94
Er ist mein Sohn, dein Urgroßahn, gewesen,

Und dir geziemt’s, von solcher langen Pein
Durch gute Werk’ ihn schneller zu erlösen. – –[1]

97
Florenz, im alten Umkreis, eng und klein,[2]

Woher man jetzt noch Terzen hört und Nonen,
War damals friedlich, nüchtern, keusch und rein.

100
Nicht Kettchen hatt’ es damals noch, nicht Kronen,[3]

Nicht reichgeputzte Frau’n – kein Gürtelband,
Das sehenswerther war, als die Personen.

103
Bei der Geburt des Töchterleins empfand[4]

Kein Vater Furcht, weil man zur Mitgift immer,
So wie zur Zeit, die rechten Maße fand.

106
Und öde, leere Häuser gab’s da nimmer;[5]

Nicht zeigte dort noch ein Sardanapal,
Was man vermag in Ueppigkeit der Zimmer.

109
Nicht übertroffen ward der Montemal[6]

  1. [96. Der Sprechende, Cacciaguida (spr. Cattschaguida), von altem florentinischen Geschlecht, gest. um 1147, war also der Großvater des Großvaters Dante’s, Bellincione, und durch seine Heirath mit einer Aldighieri der Begründer dieses Zunamens für die Familie. – Dante macht ihn durch diesen und die zwei folgenden Gesänge zum ausschließlichen Sprecher und legt ihm in drei der wichtigsten Reden 1) über Florenz und dessen gute, alte Sitte zu seinen Lebzeiten (Ges. 15), 2), über dessen spätere Geschichte (Ges. 16), 3) über sein, des Dichters, eigenes Schicksal (Ges. 17), seine innersten Gedanken und Gefühle in den Mund. Der Leser entnehme und verwerthe hieraus, was Kopisch treffend mit den kurzen Worten ausdrückt: In Cacciaguida’s Gestalt haben wir ein einfaches und vollkommenes Spiegelbild von Dante’s politischer, religiöser und häuslicher Gesinnung.]
  2. [97 ff. Dicht am uralten Stadtplatz (Piazza della Signoria), also innerhalb des ältesten, engsten Stadtkreises, liegt die Badia (Abtei) der Benedictiner, von deren Thurm damals die Tagesstunden durch Glockenschlag angezeigt wurden.]
  3. [100. Vgl. zu der ganzen Stelle Fgf. 23, 94 ff. Dort mehr zornentflammte Rüge der Gegenwart, hier milder Rückblick auf die Vergangenheit.]
  4. 103. Man verheirathete die Töchter nicht zu früh, und gab ihnen eine mäßige, ihren Verhältnissen angemessene Mitgift.
  5. [106. Entweder einfach: blose, leere Prunksäle oder (nach Philalethes) Häuser, in denen keine Menschen mehr, nein, Zierpuppen wohnen.]
  6. 109. Montemalo, jetzt Montemario, ein Berg nahe bei Rom [489] nach Viterbo zu – Uccellatojo, ein Berg bei Florenz, nach Bologna zu gelegen. Von dem einen und andern Berge übersieht man die benachbarten Städte nach ihrem ganzen Umfange. Der Sinn ist also: damals wetteiferte Florenz noch nicht mit Rom an Schönheit und Größe.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_488.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)