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Wie Hippolyt, vertrieben aus Athen[1]

Von der Stiefmutter treulos argen Ränken,
So mußt du aus dem Vaterlande gehn.

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Dies wollen sie, dies ist’s, worauf sie denken;

Und wo man Christum frech zum Markte trägt,[2]
Dort wird zur That, was Noth thut, dich zu kränken.


  1. 46. Hippolyt, Sohn des Theseus, mußte aus Athen entweichen, weil er der verbrecherischen Liebe seiner Stiefmutter Phädra nicht entsprechen wollte, und aus Rache von ihr eines Angriffs auf ihre Ehre beschuldigt wurde. Das Gleichniß ist in vieler Beziehung bedeutungsvoll.
  2. [50. Wo man etc., in Rom. –
    Zeit und Anlaß der Verbannung Dante’s sind in der Vorbem. zur Hölle S. 6 angeführt und man begreift deren Unverschuldetheit und Ungerechtigkeit, welche schon D.’s Charakter verbürgt, um so mehr, wenn man hinzunimmt, daß dieselbe Signorie der Republik, welche vor Kurzem die Häupter der Schwarzen verbannt und Ende 1301 mit drei Andern den Dante als Gesandten nach Rom abgeordnet hatte, um gegen jede päpstliche Einmischung zu protestiren, es war, die einige Monate nachher, während Dante’s, vom Papst tückisch verlängerter, Abwesenheit, dem Karl von Valois, dem Sendling Roms, feige und leichtgläubig selber die Thore öffnete, so daß dann das ganze Unwetter sich über die Ghibellinen[WS 1] entlud und unter den allerersten Verbannten die Legaten waren, voran Dante. Indem der Dichter über solche Elendigkeit V. 52–54 die Rache Gottes herabruft, (vielleicht auf des Hauptagitators Donati baldigen Tod anspielend, Fgf. 24, 82), so läßt uns der starke Mann in den sechs nächsten, herrlichen Versen dieses, nach mehr als sechszehn durchlebten Verbannungsjahren, geschriebenen Vaticiniums, auch einmal in die ganze Schwere von Anfeindungen (V. 52 ff.), Armuth und Widerwärtigkeiten aller Art hineinblicken, die er ungebrochen trug, aber zugleich auch wieder in die unentwegte Anhänglichkeit seines tiefen Gemüths an die undankbare Heimat, für deren inneren Frieden und äußere Selbständigkeit er bisher mit selbstloser Aufopferung gewirkt hatte. „Du wirst in der Trennung von allem, was dir werth ist, zuerst und vornehmlich empfinden, wie hart das Verbanntsein schmecke,“ V. 55–60. Denn nicht nur die Stadt selbst mußte er jetzt ihrem Schicksal anheimgeben. Auch die Gattin (Hölle 2, 53, Fgf. 30, 130) mit den fünf Kindern mußte er dort zurücklassen. Denn ob ihm auch nach der, mit der Verbannung verbundenen Vermögens-Einziehung noch einige eigene Mittel geblieben sein mögen, so reichten diese doch nicht, ihn selbst zu erhalten, geschweige seine Familie. – Ueber seine ferneren Schicksale im Exil ist, zum Verständniß der nächsten Verse, Folgendes zu bemerken. Die ersten Jahre über schloß er sich, von verschiedenen Sammelorten aus, noch mehreren Versuchen seiner Partei an, durch Unterhandlung oder Gewalt Rückkehr nach Florenz zu erlangen. Sie waren alle unglücklichen Erfolges. Immer mehr fühlte er sich dabei, mit [501] Recht oder Unrecht, von der Unentschiedenheit und Unzugänglichkeit der Genossen für seine Rathschläge abgestoßen, so daß er sich zuletzt ganz zurückzog, nur noch „für sich allein seine eigene Partei bildend“, V. 61–69. Von höchster Unparteilichkeit, wie er im Grund seiner Natur war, galt ihm ja überhaupt das Parteiwesen als solches nichts, wenn es nicht höheren Zwecken und mit reinen Mitteln diente und er kannte hierin keinen Unterschied der Beurtheilung bei Guelfen oder Ghibellinen, vgl. Hölle, Ges. 32, 80, Ges. 16, 14–60, Par. 6, 103 ff. Nur der oft erwähnte Zug Heinrichs VII., sein letzter, ebenfalls trügerischer Hoffnungsstern, bewog ihn, noch einmal wieder etwas in’s politische Leben hervorzutreten. – Eine erste, dauerndere Zuflucht fand er nach V. 70 ff. bei dem „herrlichen Lombarden“. Das angegebene Wappen der Leiter mit dem Adler deutet auf einen Scaliger zu Verona. Obwohl der Adler erst später hinzukam, so ist doch wahrscheinlich Bartolomeo della Scala gemeint. Uebrigens muß dieser Aufenthalt zwischen 1303 und 1304 und vor die, in V. 67 ff. erwähnten, Zerwürfnisse mit den Weißen gefallen sein. Nachdem er dann Jahre lang auf einer großen Zahl von kürzer- oder längerdauernden, aber immer wieder wechselnden Wohnsitzen, die er meist der Gnade treugesinnter, parteigenössischer Fürsten verdankte, sich durchgeschlagen, sehen wir ihn 1317–1320 am Hof des jüngeren Scaligers Can grande wieder in Verona weilen. Dies waren seine glücklichsten Tage. Im Kreis geistreicher Zeitgenossen konnte er seinen Arbeiten obliegen, sah seine beiden, noch lebenden Söhne bei sich und der wirklich ehrenwerthe und hochherzige Fürst ließ ihn nicht empfinden, daß er sein Gnadenbrod aß. Darum setzt ihm Dante in V. 76–90 jenes schöne Denkmal persönlicher Dankbarkeit für seine Handlungsweise an ihm, in Form einer Weissagung derselben durch seinen Urahn. Eine freundliche Einladung Guido’s von Polenta, dessen Haus er schon länger befreundet war (zu Hölle 5, 80), führte den Dichter endlich 1320 noch nach Ravenna. Dort erfolgte die Vollendung des Paradieses (vgl. S. 397 Anm. *), ward möglicherweise auch noch die letzte Hand an das Fegfeuer gelegt und wurde dem Dichter sein, heute noch sorgfältig gewahrtes, Grab. Seine große Seele ging zu ihrem Frieden ein am 14. Sept. 1321.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ghiebellinen
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_500.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)