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„Ich seh’ es wohl, du zeigst mir Liebesglut.“

46
Doch Sie, die mir zum Sprechen und zum Schweigen

Das Wie und Wann bestimmt, sie schwieg, und ich
That wohl, nicht fragend meinen Wunsch zu zeigen.

49
Doch sie erklärte wohl mein Schweigen sich,

In Ihm, der Alles sieht, mich klar erschauend,
Und sprach: „Still’ jetzt den heißen Wunsch und sprich!“

52
Und ich begann: „„Nicht dem Verdienste trauend,

Halt’ ich von dir mich einer Antwort werth;
Ich frag’, auf Sie, die mir’s gestattet, bauend:

55
O sel’ges Leben, das du schön verklärt

Dich in der Freude birgst, aus welchem Grunde
Hast du zu mir dich liebevoll gekehrt?

58
Und sage mir, weswegen diesem Runde

Die Paradieses-Symphonie gebricht,
Die tiefer dort erklang im frommen Bunde?““

61
Und Er: „Dein Ohr ist schwach, wie dein Gesicht;

Weshalb Beatrix nicht gelacht, deswegen
Ertönt der Sang in diesem Kreise nicht.

64
Ich kam von heil’ger Leiter dir entgegen,

Um mit der Red’ und mit dem Licht, das mir
Zum Kleide dient, dich freudig aufzuregen.

67
Und nicht aus größ’rer Liebe bin ich hier;

Nein, mehr und gleiche Liebe glüht in ihnen,
Die dorten sind, und Schimmer zeigt sie dir.

70
Doch höchste Liebe, die uns treibt, zu dienen

Dem ew’gen Rath, braucht, wen sie wählt, dabei,
Wie dir in dem, was du gesehn, erschienen.“[1]

73
„„Ich sehe wohl,““ sprach ich, „„daß Liebe, frei,

  1. [72. In unsrer verschiedenen Vertheilung auf der Leiter. Diese ist also lediglich freie, über unser Denken erhabene, Wahl Gottes. – Mit diesem und den ff. Versen lenkt D. noch einmal auf die „Gnadenwahl“ zurück, indem er in V. 94–102 die Belehrung über dieselbe beschließt mit ähnlichen Worten, wie schon Ges. 20, 130 ff.; 19, 49 ff.; 13, 112 ff., deren Sinn und Meinung offenbar auf die absolute Unergründlichkeit, aber auch unbegrenzte Weite des göttl. Gnadenrathschlusses, unter Wahrung der creatürlichen Willensfreiheit, zielt. Vgl. zu Ges. 19, 33 am Ende und 17, 37 ff.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_527.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)