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Und nicht verschweige, was ich nicht verschwiegen.“

67
Wie, wenn der Wolken feuchter Dunst gefriert,

Durch unsre Luft die Flocken niederfallen,
Zur Zeit, da Sol des Steinbocks Horn berührt;[1]

70
So, aufwärts, sah ich an des Aethers Hallen

Mit jenem Licht, das eben zu mir sprach,
Der Andern Schaar, wie Schimmerflocken, wallen.

73
Mein Auge folgte diesem Anblick nach,

Bis sie so weit im Raum emporgeflogen,
Daß er den Pfad des Blickes unterbrach.

76
Da sprach die Herrin, die mich abgezogen

Von oben sah: „Jetzt schau’ hinab – hab’ Acht,
Wie weit du fortzogst mit des Himmels Bogen.“

79
Vom ersten Rückblick an, deß ich gedacht,[BN 1] [2]

Hatt’ ich den Weg der Hälft’ im halben Kreise
Von seiner Mitte bis zum Rand gemacht.

82
Von Cadix jenseits lag das Furth zur Reise[3]

Ulyß, des Thoren – diesseits nah’ der Strand,
Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Preise.

85
Noch mehr von unserm Ball hätt’ ich erkannt,[4]

Doch unten war die Sonne vorgegangen,
Der fern, um mehr noch, als ein Zeichen, stand.

88
Mein liebend Herz, das immer mit Verlangen

  1. [69. Im Winter, wenn die Sonne im Steinbocke steht. – Das schöne Gleichniß malt aus, wie nun die Seligen, welche den Triumphzug Christi in Ges. 23 gebildet, alle, ihm und Maria nach (23, 86 und 106 ff.), zum Empyreum sich erheben.]
  2. 79. [BN 2]Zum ersten Mal sah Dante (Ges. 22 V. 33) auf Beatricens Geheiß aus dem Gestirn der Zwillinge zur Erde zurück. Seit jener Zeit war dies Gestirn um das Viertheil seiner Bahn, vom Meridian bis zum westlichen Horizont, vorgerückt, folglich waren sechs Stunden verflossen.
  3. 82. Die Furth etc., die Säulen des Herkules. Der Strand, von Phönicien, von welchem Zeus die Tochter des Königs Agenor, Europa, „als süße Last“ entführte.
  4. 85. Ein Theil der östlichen Halbkugel war für Dante bereits verfinstert, weil die Sonne nach Westen vorgerückt war. Indeß Dante seine Reise machte, stand die Sonne ungefähr im 22sten Grade des Widders. Zwischen diesem Gestirn und dem der Zwillinge steht der Stier, so daß von den Zwillingen die Sonne noch um mehr, als das Zeichen des Stiers, entfernt war.

Berichtigungen und Nachträge

  1. Ges. 27, 79 ff., wo aus Versehen die, nicht ganz zutreffende, Uebersetzung von Streckfuß stehen geblieben ist, lies, wie folgt:
    Vom ersten Rückblick an, deß ich gedacht,
    Hatt’ ich den Weg, entlang der ersten Zone,
    Von ihrer Mitte bis zum End’ gemacht.
    Die tolle Durchfuhrt von Laertes’ Sohne
    Sah’ jenseits Cadix ich, diesseits den Strand,
    Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Lohne.
    Berichtigungen und Nachträge, S. 622
  2. – Zur betreff. Anm. setze hinzu: Mit der Hälfte des Halbkreises der ersten, heißen Zone, den er sich von Jerusalem bis zum äußersten Westhorizonte reichend denkt und dessen Hälfte also ein Viertel der Erdperipherie umfaßt, parallelisirt der Dichter den Weg seines Fluges oben am Himmel mit den Zwillingen, indem er jene irdische Abgrenzung auf den, vertical darüber stehenden, Himmel überträgt. Denn wenn man von den Zwillingen ein Senkblei herabließe, so würde dies auf Erden etwa jene Grenzlinie der ersten Zone treffen und begleiten. Berichtigungen und Nachträge, S. 622
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_565.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)