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Der Schimmer ward, zu dem mein Blick sich kehrte,
– Denn jener bleibt so, wie er immer war –

112
Nur weil im Schau’n sich meine Sehkraft mehrte,

Schien’s, daß verwandelt jener eine Schein
Sich mir, der selbst verwandelt war, verklärte:

115
Im tiefsten Schooß vom lichten Strahlenschein

Schienen drei Kreise schimmernd mir zu sehen,
Dreifarbig und an Umfang eins zu sein.

118
Wie Iris von der Iris glänzt, so zween

Im Wiederschein; der dritt’, als Gluth und Licht
Schien’ er gleichförmig beiden zu entwehen.

121
Für meine Vorstellung des Worts Bericht,[1]

Er ist zu arm! Und nehm’ ich, was beschieden
Mir war zu seh’n, wie arm ist diese nicht!

124
O ew’ges Licht, du, in dir selbst im Frieden,[2]

  1. [121–123. Wie schon ähnlich V. 68, 74, 90, erinnert hier D. nochmals daran, daß sein Ausdruck der Darstellung seiner Gedanken, seiner Vorstellung des Geschauten nicht genüge, noch viel weniger seiner vollen Schau selber, gegen welche die zurückgebliebene Vorstellung selbst arm und winzig sei.]
  2. [124–144. Hier erfolgt weiterhin die Enthüllung des letzten und tiefsten Geheimnisses innerhalb der Trinität: der Menschwerdung. D. recapitulirt zuerst das Verhältniß der drei Personen V. 124–126: Der Vater ist das in und auf sich selbst ruhende Licht; sich selbst erkennend zeugt er den Sohn; der sich Erkennende und Erkannte, Sohn und Vater, sich selbst in Liebe lächelnd, lassen den Geist hervorgehen. – Dante wendet sich nun insbesondere gegen den mittleren Kreis und sieht diesem in dessen eigener Farbe das Menschenantlitz aufgeprägt, 127–132. Dies ist das Bild der Menschwerdung, zugleich aber auch der ursprünglichen, unauslöschlichen, durch den Sohn wieder erneuten Gottebenbildlichkeit des Menschen. Wie der Geometer die Quadratur des Zirkels sucht, so will nun D. ermessen, warum das Menschenbild dem zweiten Kreise, dem Sohn, zukomme [619] und wie darin die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem zu Stande komme, V. 133–138. Aber so wenig der Geometer je durch all’ sein Forschen jene Aufgabe löst, so wenig der Menschengeist dies Problem, 133, 139. Da plötzlich wird sein Geist von einem unmittelbar der Gottheit entströmenden Offenbarungsblitz, einer höheren Intuition durchdrungen (d. h. zugleich für die Erde: nur der Glaube versteht das Mysterium), unter deren Eindruck das Ersehnte kommt. Nämlich, während die Phantasie zu jeder Wiedergabe und Darstellung dieses Vorgangs unzulänglich ist, fühlt er sein Wollen und jedes daraus hervorgehende Verlangen selbst in jene volle, freie geheimnißvolle Lebenseinigung mit Gott hineingezogen, welche – das letzte und höchste Ziel de Seligkeit und S. 397 des Gedichtes – zugleich vollkommenes Wirken, Erkennen und Genießen ist und in welcher sich dem Dichter also eben jenes Räthsel V. 136 ff. auf eine unaussprechliche Weise löst.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_618.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)