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109
Nicht eilt so schnell auf Erden Einer fort,

Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid bethören,
Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,

112
Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,

Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
Die Ruhm dir bringt und Allen, die sie hören. –

115
Als nun Beatrix solches vorgebracht,

Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
Und dies hat mich nur schneller hergebracht.

118
So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,

Das Unthier von dir scheuchend, dem’s gelang,
Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.

121
Was also ist dir? warum weilst du bang?

Was herbergst du die Feigheit im Gemüthe?
Was weicht dein Mut, dein kühner Thatendrang,

124
Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte

Für dich bemüh’n, und dir mein Mund verspricht,
Daß ihre Sorge dich so treu behüte.“

127
Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,

Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;

130
So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,

In meinem Herzen sich zu gutem Muth,
Und ich begann frohsinnig und entschlossen:

133
„„O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!

Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
Der Herrlichen so schnell Genüge thut!

136
Mein Sehnen glüht – nicht wird die Kraft mir fehlen[1]

Bei deinem Wort – schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.

139
Drum auf, in Beiden ist ein gleicher Drang,

Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!““
Ich sprach’s zu ihm, und folgend seinem Gang,

142
Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
_______________

[19]

Dritter Gesang.
Höllenthor. Vorhölle. Die Memmen. Cölestin V. Charon.

1
Durch mich geht’s ein zur Stadt der ew’gen Qualen,[2]

Durch mich geht’s ein zum wehevollen Schlund,
Durch mich geht’s ein zu der Verdammniß Thalen.

4
Gerechtigkeit war der Bewegungsgrund

Deß, der mich schuf; mich gründend, that er offen
Allmacht, Allweisheit, erste Liebe kund.

7
Nicht ward vor mir Geschaffnes angetroffen,

Als Ewiges; und ewig daur’ auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt hier jedes Hoffen.

10
Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich

Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: „„Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.““

13
Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:

„Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Zagheit sterb’ an diesem Orte.

16
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt.

Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“[3]

19
Er faßte meine Hand, daher Vertrauen

Durch sein Gesicht voll Muth auch ich gewann.
Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.[4]

22
Dort hob Geächz’, Geschrei und Klagen an,

Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da’s begann.

25
Verschied’ne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,

Faustschläge, Klänge heiseren Geschreis,
Die Wuth, aufkreischend, und der Schmerz erstöhnend –


  1. 136–140. Herrliche Worte.
  2. [19] [III. 1–9. Weltberühmte Lapidarschrift „per me si va nella città dolente“ mit dem gnomischen Schluß: lasciate ogni speranza voi ch’entrate! – Sinn: die Ewigkeit der Höllenstrafen ist ein Werk, ein Erforderniß der Gerechtigkeit (V. 4) des dreieinigen Gottes (V. 6 Allmacht, Allweisheit, Liebe – Vater, Geist, Sohn.)] –
  3. 18. Das wahre Licht ist Gott. Die Verdammten können nie zu dem Ziele gelangen, ihn anzuschauen.
  4. 21. d. h. durch das Thor in das hohle Erdgewölbe, welches den ganzen Höllenschlund überspannt: die Vorhölle.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 18 bzw. 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_018019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)