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Und wer ist der, so dir die Pfade zeigt?“

49
„„Dort oben,““ sprach ich, „„in dem heitern Leben

War ich, eh’ reif mein Alter, ohne Rath
Verirrt und rings von einem Thal umgeben,

52
Aus dem ich eben gestern Morgens trat.

Schon kehrt’ ich mich zurück, da kam mein Leiter
Und führt’ mich wieder heim auf diesem Pfad.““

55
Drauf sprach Er: „Folgst du meinem Sterne weiter,[1]

Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.

58
Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,

Hätt’ ich, da dir so hold die Sterne waren,
Dich selbst zum Werk beseelt mit Muth und Kraft.

61
Doch jenem Volk von Schnöden, Undankbaren,

Das niederstieg von Fiēsŏle und fast[2]
Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,

64
Ihm bist du, weil du wacker thust, verhaßt;

Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
Mit herber Frucht die süße Feige paßt,

67
Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,[3]

Voll Geiz, Neid, Hochmuth, faul an Schaal’ und Kern –
Laß rein dich stets von ihren Sitten finden!

70
So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,[4]

[87] Daß beide Theile hungrig nach dir ringen,
Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.

73
Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,

Sich gegenseits, doch nie berühr’s ein Kraut,
– Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen –

76
In dem man neu belebt den Samen schaut

Von jenen Römern, welche dort geblieben,
Als man dies Nest der Bosheit auferbaut.

79
„„War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben““

Entgegnet’ ich, „„gewiß, ihr wäret nicht
Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.

82
Das theure, gute Vater-Angesicht,

Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht

85
Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,

Und wie mir dies noch theuer ist und werth,
Soll kund, so lang’ ich bin, die Zunge geben.

88
Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,

Bewahr’ ich wohl. – Werd’ ich die Herrin schauen,
Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.[5]

91
Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:

Ist’s nur mit dem Gewissen wohl bestellt,[6]
Dann macht kein Schicksal, wie’s auch sei, mir Grauen.

94
Mir ist nicht neu, was eure Red’ enthält,

Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen,
Und seinen Kreis das Glück, wie’s ihm gefällt.““

97
Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,

Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
„Recht hören, die’s behalten und vollbringen.“[7]

100
Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,

Und wünschte die berühmtesten zu kennen


  1. 55. Brunetto verkündet aus der Constellation bei des Dichters Geburt ihm Ruhm.
  2. 62. Fiesole liegt auf dem Gebirge. Die Einwohner, welche die Ebene am Arno für sich und ihren Handel bequem fanden, verließen großtentheils ihren Wohnsitz und legten einige Stunden davon Florenz an. Also die Florentiner sind gemeint.
  3. 67. Die Commentatoren erzählen, daß die Florentiner die Stadt Pisa bewahrten, als die Pisaner zur Eroberung der Insel Majorka ausgezogen waren. Diese boten, siegreich zurückgekehrt, den Florentinern, zur Bezeigung ihrer Erkenntlichkeit, von der gemachten Beute ein Geschenk an, und ließen ihnen die Wahl zwischen zweien schön gearbeiteten bronzenen Thüren, die noch den Dom von Pisa schmücken sollen, und zweien Säulen von Porphyr, die durch Feuer verdorben, aber von den Pisanern mit Scharlach bedeckt waren. Die Florentiner wählten, ohne die Decke zu lüften, die letzteren und erhielten davon den Spottnamen die Blinden.
  4. 70. Dante schrieb dies nicht prophezeiend im Vorgefühl künftigen Ruhmes, sondern im Bewußtsein des bereits erworbenen. Wie schlecht er von seinen Landsleuten, und zwar von beiden Parteien derselben, [87] denkt, geht aus dieser, wie aus vielen anderen Stellen des Gedichts hervor. Daß er sich von der einen und andern Partei losgemacht, gibt er im Paradies Ges. 17 V. 68 zu erkennen.
  5. 90. [D. h. Ciacco’s und Farinata’s Prophezeiungen.
  6. 92. Einer der wenigen eigentlich gnomischen Sprüche bei Dante.]
  7. 99. Im Originale ben ascolta chi la nota. Es wird vorausgesetzt, daß Virgil hier seine eigenen Worte im Sinne gehabt: Superanda omnis fortuna ferenda est.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 86 bzw. 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_086087.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)