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Von den Genossen dieser Pein und Schmach

103
Drauf Herr Brunett: „Gut ist es, Ein’ge nennen,

So wie von andern schweigen löblich scheint,
Auch müssen wir zu bald uns wieder trennen.

106
Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint

Von großem Ruf, die einst besudelt waren
Mit jenem Fehl, den Jeder nun beweint.

109
Franz von Accorso geht in diesen Schaaren,[1]

Auch Priscian, und war dir’s nicht zu schlecht,[2]
Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,

112
So sahst du Jenen, den der Knechte Knecht[3]

Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
AIIwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.

115
Gern sagt’ ich mehr – doch mit dir gehn und sprechen

Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
Ein neuer Rauch auf jenen sand’gen Flächen.

118
Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht

Geschieden hat – Mein Schatz sei dir empfohlen,
Ich leb’ in ihm noch – mehr begehr ich nicht.“

121
Hier wandt’ er sich, die Andern einzuholen,

Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert,
Der Veroneser läuft mit flücht’gen Sohlen

124
Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert.[4]
_______________

Sechszehnter Gesang.
3. Ring, Forts. Guido Guerra. Rusticucci. Zum 8. Kreis.

1
Von fernher hallte schon des Falles Brausen,[5]

Der mächtig stürzte in das nächste Thal,
[89] Gleich eines Bienenschwarmes dumpfem Sausen.

4
Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,

Und trennten sich von einer größern Bande,
Die hinlief durch des Feuerregens Qual,

7
Und schrien: „Halt du, wir sehn es am Gewande

Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
Aus unserm eignen schnöden Vaterlande.“

10
Ach, alt’ und neue Wunden, eingeätzt

Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
Und denk’ ich dran, so jammert’s mich noch jetzt.

13
Mein Meister horcht’ auf dieses Schmerzgekreische,

Und sah mich an und sprach: „Hier harren wir!
Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.

16
Denn wäre nicht der Feuerregen hier,[6]

Nach der Natur des Orts, so sagt’ ich: „Eile
Gezieme jetzo, mehr als ihnen, dir.“

19
Ich stand und hörte neu ihr alt Geheule;

Zu uns gekommen, faßten Alle nun,
Sich an, im Rad sich drehend ohne Weile.

22
Wie nackende gesalbte Kämpfer thun,[7]

Die Griff und Vortheil zu erforschen pflegen,
Indessen noch die Püff’ und Stöße ruhn;

25
So sah ich sie im Kreise sich bewegen,

Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.


  1. 109. Franz von Accorso, ein berühmter Florentiner Rechtsgelehrter.
  2. 110. Priscian. Man glaubt, daß Dante hier die Lehrer der Jugend, welche zu jener Zeit dem hier bestraften Laster sehr ergeben gewesen sein sollen, im Allgemeinen habe bezeichnen wollen, weil nicht bekannt ist, daß der berühmte Grammatiker Priscian damit befleckt gewesen ist. Dadurch erscheint die Sittenlosigkeit der Zeit nur in so üblerem Lichte.
  3. 112. Andreas Mozzi, Bischof von Florenz, welcher vom Papste nach Vicenza versetzt wurde.
  4. 124. Er lief so schnell wie der beste Wettläufer.
  5. XVI. 1. Dies Brausen kommt von dem Wasserfalle des Phlegethon, [89] welcher sich, wie wir in V. 92 ff. näher erfahren, in den achten Kreis hinabstürzt.
  6. 16–18. Wenn sie nicht, wie der Feuerregen bezeugt, hier als Sodomiter bestraft wären (oder auch, wenn nicht der Feuerregen dich hinderte), so würdest du, weil sie im Leben angesehnere Leute waren, als du, Veranlassung haben, ihnen eilig entgegen zu gehen, und nicht ihr Entgegenkommen zu erwarten. – Daher auch die Aufforderung zur Höflichkeit V. 15.
  7. 22–27. Die Beschreibung, welche in diesen sechs Versen enthalten ist, erscheint beim ersten Blicke vielleicht undeutlich. Aber sie wird immer klarer und plastischer, je näher man sie betrachtet. Kaum dürfte von irgend einem andern Dichter in so wenig Zeilen ein so bewegtes Gemälde aufgestellt worden sein.
    Im fünfzehnten Gesange V. 37 haben wir erfahren, daß keiner von denen, welche durch den Feuerregen laufen, je still stehen darf. Den Dreien, die sich jetzt dem auf dem Damme stehenden Dichter nähern, [90] bleibt also, wenn sie ihn sprechen wollen, nichts weiter übrig, als sich immer vor ihm herum zu bewegen. Die kreisförmige Bewegung bleibt hierbei die natürlichste, weil sie ihm dabei am wenigsten den Rücken zukehren, auch nicht umzuwenden brauchen, wie dies geschehen müßte, wenn sie entlang des Dammes vor ihm auf- und abgingen. Weil aber ihre Füße die kreisförmige Bewegung machen, während ihr Gesicht sich so viel als möglich dem Dichter zukehrt, mit welchem sie sprechen, so muß freilich ihr Hals eine andere Richtung nehmen als der Fuß. Dieses Drehen des Halses und das Verfolgen im Kreise macht sie aber den Kämpfern ähnlich, die vor dem Gefechte ihren Vortheil absehen wollen.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 88 bzw. 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_088089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)