Seite:Dante - Komödie - Streckfuß 092093.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zu Unmaß dich und Stolz, der dich bethört,
Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!““

76
Ich rief’s, das Aug’ emporgewandt, verstört.

Starr sahn die Drei sich an bei meinen Reden,
Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.

79
„Wenn dir’s gelingt, daß du so, wie uns, Jeden[1]

Befried’gen kannst,“ war Aller Gegenwort,
„Dann bist du glücklich, also frei zu reden.

82
Entkommst du einst aus diesem dunklen Ort,

Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,

85
Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!“ –

Hier aber brachen sie den Kreis und flohn
Voll Eil’ und wie mit Flügeln an den Füßen.

88
Eh’ man ein Amen ausspricht, waren schon

Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden,
Drum ging sogleich mein Meister auch davon.

91
Ich folgt’ ihm nach, um weitres zu erkunden,

Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.

94
Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,[2]

Deß Fluten ostwärts vom Berg Veso toben
Entströmt dem linken Apenninenhang,

97
– Das stille Wasser heißt er erst dort oben,

Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
Des ersten Namens wiederum enthoben –

100
Deß Sturz dort ob Sanct Benedict erschallt,

Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
[93] Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:[3]

103
So brach von einem Felsenhang voll Grausen[4]

Der dunkelfarb’ge Fluß sich brüllend Bahn,
Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.

106
Mit einem Stricke war ich umgethan,[5]

Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
Ich das gefleckte Panthertier zu fahn.

109
Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,

Wie ich vom Führer mir geboten fand,
Macht’ ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.

112
Er aber kehrte dann sich rechter Hand

Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.

115
„„Entsprechend““ dacht’ ich, „„muß die neue Kunde

Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde.““

118
O wie behutsam sollten wir doch sein[6]

Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
Und nicht sich halten an die That allein.

121
Er sprach: „Bald werden wir auftauchen sehen,

Was ich erwart’; und das, was du gedacht,
Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen.“

124
Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt Acht,

So viel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,


  1. 79. D. h. droben würde eine so aufrichtige Antwort schlimmere Folgen haben.
  2. 94–101. Der hier beschriebene Fluß ist der Montone, welcher auf den Apenninen entspringt und nicht wie die andern dortigen Flüsse sich mit dem Po vereinigt, sondern bis zum Meere sein eigenes Bett behält. [Bis Forli hieß er Aquacheta, Stillwasser, von dort erst Montone.]
  3. [93] 102. [Das Benedictinerkloster dort wollte dessen damaliger Besitzer, Rugginri von Davadola mit mehreren Dörfern zu einer befestigten Stadt vereinigen. Auf diesen Plan geht V. 102.]
  4. 103. [Vom 7. zum 8. Kreis. Sinnbildlich: der Strom stürzt tosend von den Gewaltthätigen zu den Betrügern hinab. Dort fließt er still weiter.]
  5. 106. [BN 1]Nach einigen Nachrichten war Dante für den Franziskaner-Orden [d. h. dessen Unterabtheilung, die Tertiarier], bestimmt. Hier erfahren wir, daß er wenigstens als Novize den Strick getragen, mit welchem die Brüder dieses Ordens sich umgürten. Er hatte gehofft, mit diesem Stricke das bunte Pantherthier (die jugendliche Begier, die Wollust) zu zähmen. Vergebens! Jetzt auf das Gebot der Vernunft, macht er sich von dem Stricke los und läßt ihn von derselben in den Abgrund schleudern. Und was taucht aus diesem dafür auf? – das Bild des Betrugs! Anspielung auf die damalige Entartung des Ordens.
  6. 118. Bezieht sich wieder darauf, daß Dante hier die Nichtigkeit aller äußerlichen Heiligkeitsversuche (Orden u. dgl.) durch Virgils tieferen Blick einsehen lernt. S. zu V. 106.]

Berichtigungen und Nachträge

  1. Ges. 16, 106 Anm. Eine der, im Text belassenen, gewöhnlichen Auffassungen des Stricks entgegengesetzte, neue Auslegung gibt Scartazzini. Er stellt denselben in keinen Zusammenhang nach vorwärts mit dem Heraufkommen des Geryon, sondern nur nach rückwärts mit der Ueberwindung des Panthers, d. h. mit der Durchwanderung der, den Fleisches- und Leidenschafts-Sünden gewidmeten Kreise, welche D. nun selbst hinter sich hat. Demnach bedeutete er ein, nunmehr abgelegtes Laster, keine Tugend irgend einer Art: „Soltanto o un vizio, il quale egli per sempre depone, o cosa per se indifferente, che da ora in poi gli è superflua.“ Wie diese interessante, mit V. 109 ff. wohl stimmende Fassung, sich mit V. 107 ff. vereinigen lasse, wollen wir dem Leser zu prüfen anheimstellen. Berichtigungen und Nachträge, S. 621
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 92 bzw. 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_092093.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)