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61
Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,

Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
Benaco heißend, beim Tyroler Lande.[1]

64
Zwischen Camonica und Gard’ ergießt,

Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
Die in besagtem See zusammenfließt.

67
Inmitten aber liegen ebne Flächen,

Und drei verschied’ne Hirten könnten dort[2]
Auf einem Gränzpunkt ihren Segen sprechen,

70
Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort,

Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
Und rings geht flacher dann die Gegend fort.

73
Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,

Das nicht mehr Raum in seinem Schooß gewinnt,
Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.

76
Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,

Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
Bis nach Governo, wo’s im Po verrinnt.

79
Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,

Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.

82
Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,

Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben,
Entblößt von Leuten und unangebaut,

85
Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben,

Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei,
Und lebt’ und ward in diesem Land begraben.

88
Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei,

Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
Und sahn, daß durch das Moor kein Zugang sei,

91
Sich auf dem Grabe Manto’s niederließen,

Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
[115] Die Stadt, ohn’ andres Zeichen, Mantua hießen.

94
Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,

Eh’ Pinamont, den Thoren zu betrügen,[3]
Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.

97
Drum merke wohl, und sollt’ es je sich fügen,

Daß Mantua’s Ursprung man nicht so erklärt,
So laß der Wahrheit nichts entziehn durch Lügen.“

100
Und ich: „„Mein Meister, was dein Wort mich lehrt,

Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
All’ Andres ist nur todte Kohl’ an Werth.

103
Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,

Ist irgend wer bemerkenswerther Art?
Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen.““

106
Und Er: „Des Augurs Trug hat der, deß Bart[4]

Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
Als Griechenland so leer an Männern ward,

109
Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.

In Aulis sagt’ er da mit Kalchas wahr,
Zeit wär’s, daß sie das erste Tau zerhieben.

112
Kund thut mein tragisch Lied dir, wer er war.[5]

Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.

115
Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen,[6]

Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt,
Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.

118
Bonatti sieh – Asdent, den’s jetzo kränkt,

Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten


  1. 63. Benaco, der heutige Garda-See.
  2. 68. Drei verschiedene Hirten, die Bischöfe von Trient, von Brescia und von Verona, deren Sprengel dort zusammenstoßen. Wer sich übrigens von der hier beschriebenen Gegend näher unterrichten will, möge eine Specialkarte in die Hand nehmen. Eine prosaische Erläuterung der Stelle dürfte schwerlich deutlicher werden, als die so sehr klare Beschreibung im Texte.
  3. [115] 95. Pinamonte de’ Buonacossi überredete den Grafen Albrecht Cassalodi, Herrn von Mantua, daß er, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, die mächtigsten und tapfersten seiner Anhänger aus der Stadt verbannen müsse. Als der Graf diesem Rathe gefolgt war, bemächtigte sich Pinamonte mit Hülfe des Volkes selbst der Herrschaft und tödtete und verbannte alle diejenigen, von welchen er Gefahr befürchtete.
  4. 106. Eurypylus, welcher, als die Griechen gen Troja zogen, ihnen die rechte Zeit zur Abfahrt kund that.
  5. 112. Mein tragisch Lied, im Original: l’alta mia tragedia – die Aeneis, in welcher B. 2 V. 114 von Eurypylus die Rede ist, so benannt nach Dante’s Theorie vom tragischen, komischen und elegischen Stile.
  6. 115 – 120. Michael Scotto, ein spanischer oder schottischer [116] Wahrsager – Bonatti, ein Astrolog, der seine Weisheit in einer Schrift niedergelegt hat – Asdente, ein mystischer Schuster aus Parma.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 114 bzw. 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_114115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)