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Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht;
Selbst wandelt’ ich durch ew’gen Frost voll Beben.

76
War’s Vorsatz, war’s Geschick – ich weiß es nicht,

Genug, es stieß mein Fuß, beim Weitergehen
Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.

79
„Was trittst du mich?“, so hört’ ich’s heulend schmähen,

„Rächst du noch schärfer Montapert an mir?[1]
Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen? –“

82
„„Mein Meister,““ sprach ich, „„harr’ ein wenig hier,

Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir.““

85
Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,

Und Jener fluchte noch so wild wie erst,
Da sprach ich: „„Wer bist du, du arger Schmäher?““

88
„Und du, der du durch Antenora fährst,“

Sprach er, „wer du, der so stößt Andrer Wangen,
Daß es zu arg wär’, wenn du lebend wärst?“

91
„„Ich lebe,““ sagt’ ich. „„Hättest du Verlangen

Nach Ruf, so wird er dir durch mich zu Theil,
Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen.““

94
Drauf Er: „Ich wünsche nur das Gegentheil,

Drum packe dich – in diesen Eisesmassen
Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil.“[2]

97
Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,

Und sagt’ ihm: „„Nöthig wird’s, daß du dich nennst,
Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen.““

100
Und Er: „Ob du mich zausen magst, du kennst

Mich dennoch nicht – nichts sollst du hier erkunden,
Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst.“

103
Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,

[185] Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
Schaut’ er hinab, und bellte gleich den Hunden.

106
Da rief ein Andrer: „Bocca, nun fürwahr,

Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?“

109
„„Dich““, rief ich, „„mag ich nicht zum Reden zwingen,

Verräther du, allein zu deiner Schmach
Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen.““

112
„Erzähle, was du willst, doch hintennach,“

Rief Bocca, „magst du diesen nur nicht schonen,
Der eben jetzo so geläufig sprach.

115
Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen,

Und sage, daß Duera da nicht fehlt,[3]
Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.

118
Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,

Dort siehst du Becheria’s Augen triefen,[4]
Den jüngst die Florentiner abgekehlt.

121
Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,[5]

Gan, Tribaldello, der Faënza’s Thor
Den Feinden aufschloß, da noch Alle schliefen.“

124
Wir gingen fort und, etwas weiter vor

War Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
Das fest in einem Loch zusammenfror.

127
Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,

So fraß der Obre hier den Untern an,
Da wo sich Nacken und Gehirn verbinden.

130
Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn[6]

  1. 80. Bocca degli Abbatti hieb im Anfange der Schlacht von Montaperti an der Adria dem Bannenträger der Guelfen, zu welchen er selbst gehörte, dem Jacob del Nachacha de’ Pazzi, mit dem Schwerte die Hand ab, und veranlaßte dadurch den Verlust der Schlacht. [Obwol selbst Ghibelline, verdammt Dante dennoch energisch dies absichtliche Bubenstück.]
  2. [96. In diesem Höllenkreise wollen die Sünder nicht mehr, was sonst ihr höchstes Sehnen ist (zu 31, 124) in der Oberwelt genannt oder gereinigt werden. Ihr teuflisches Vergnügen ist einzig, hier und dort ihre Mitschuldigen und ihre Feinde gebrandmarkt zu wissen.
  3. [185] 116. Der Ghibelline Buoso da Duera, ein Cremoneser gestattete, von dem französischen General Guido von Montfort bestochen, diesem den Uebergang über den Oglio, jenseits dessen er sich mit den Guelfen vereinigte.
  4. 119. Becheria von Pavia, Abt von Balombrosa. Man entdeckte bei ihm eine Verhandlung, nach welcher Florenz in die Hände der Ghibellinen geliefert werden sollte, und schnitt ihm dafür den Kopf ab (1258).
  5. 121–123. Soldanier, ein Ghibelline, welcher zu Gunsten der Guelfen, zum Verräther an seiner Partei ward. – Gan von Mainz, der im Sagenkreise Karls des Großen (s. zu 31, 16), insonderheit in Ariosts fünf Gesängen, den Verräther und im Allgemeinen die schlechte Person spielt. – Tribaldello öffnete des Nachts den Franzosen ein Thor von Faënza.
  6. 130. Tideus befand sich im Thebanischen Kriege unter den Belagerern [186] der Stadt; indem er mit Menalipp kämpfte, tödteten sich beide, und Tideus nagte, wie Statius erzählt, noch sterbend aus Wuth an den Schläfen des eben verschiedenen Feindes.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 184 bzw. 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_184185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)