Seite:Dante Prosa 018.gif

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dem Ausdrucke liegt, wie es einige Denklehrer tagelang mit einigen Sätzen machen, die sie als Beispiel ihrem Vortrag einmischen, wie etwa, daß ein Dreieck drei Winkel hat, die zweien rechten gleich sind. Ich meine nämlich: Urtheil steht in der Mitte zwischen Auffassung und Begehrung. Denn zuerst wird eine Sache aufgefaßt, dann bestimmt das Urtheil, ob sie gut oder schlecht ist, und endlich strebt der Urtheilende nach ihr hin oder von ihr weg. Wenn also das Urtheil durchaus der Begehrung vorangeht, und nicht umgekehrt, so ist es frei. Wenn aber die Begehrung dem Urtheil zuvorkommt und es in Bewegung setzt, so ist es nicht frei, weil es nicht von sich selbst, sondern von einem Andern gefesselt und gezogen wird. Und so können die unvernünftigen Geschöpfe kein freies Urtheil haben, weil ihrem Urtheil stets die Begehrung zuvorkommt. Daher darf man auch schließen, daß die geistigen Wesen, deren Wille unveränderlich ist, sowie die abgeschiedenen vom Körper getrennten Seelen, wegen der Unveränderlichkeit ihres Willens die Wahlfreiheit nicht verlieren, sondern sie behalten sie im höchsten und vollkommensten Grade. Diese Einsicht aber überzeugt uns ferner, daß diese Freiheit, oder dieser Urquell unsrer ganzen Freiheit das größte der menschlichen Natur von Gott verliehene Geschenk ist, weil wir dadurch hier als Menschen und dort als Götter beglückt werden. Wenn sich dies nun so verhält, wer wird dann das menschliche Geschlecht nicht glücklich preisen, weil es vorzugsweise aus diesem Urquell schöpfen kann? Aber unter dem Alleinherrscher stehend ist es am freiesten. Hiebei ist zu bemerken, daß Das recht eigentlich frei ist, was seinetwegen und nicht eines Andern wegen da ist, wie der Philosoph in seiner Schrift über das an sich Seiende lehrt. Denn was eines Andern wegen da ist, das wird bestimmt von diesem Andern, wie ein Weg von seinem Ziel bestimmt wird. Das menschliche Geschlecht ist einzig unter einem Monarchen sein selbst wegen und nicht eines

Empfohlene Zitierweise:
Dante Alighieri: Dante Alighieri’s prosaische Schriften II. F. A. Brockhaus, Leipzig 1845, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_Prosa_018.gif&oldid=- (Version vom 29.3.2024)