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auch sind sie durch geschlechtliche Zuchtwahl zur Verschönerung einiger männlichen Thiere entwickelt worden. Mögen wir nun für das durch das Gesicht oder Gehör erlangte Vergnügen in diesen Fällen einen Grund angeben oder nicht, der Mensch und viele der niedern Thiere sind in gleicher Weise über die nämlichen Farben, das graziöse Schattiren und derlei Formen und über die nämlichen Laute ergötzt.

Der Geschmack für das Schöne, wenigstens was die weibliche Schönheit betrifft, ist nicht in einer specifischen Form dem menschlichen Geiste eingeprägt; denn in den verschiedenen Menschenrassen weicht er vielfach ab, und ist selbst bei den verschiedenen Nationen einer und derselben Rasse nicht derselbe. Nach den widerlichen Ornamenten und der gleichmässig widerlichen Musik zu urtheilen, welche die meisten Wilden bewundern, liesse sich behaupten, dass ihr ästhetisches Vermögen nicht so hoch entwickelt sei als bei gewissen Thieren, z. B. bei Vögeln. Offenbar wird kein Thier fähig sein, solche Scenen zu bewundern, wie den Himmel zur Nachtzeit, eine schöne Landschaft, oder verfeinerte Musik; aber an solchen hohen Geschmacksobjecten, welche ihrer Natur nach von der Cultur und von complexen Associationen abhängen, erfreuen sich Barbaren und unerzogene Personen gleichfalls nicht.

Viele Fähigkeiten, welche dem Menschen zu seinem allmählichen Fortschritte von unschätzbarem Dienste gewesen sind, wie das Vermögen der Einbildung, der Verwunderung, der Neugierde, ein unbestimmtes Gefühl für Schönheit, eine Neigung zum Nachahmen und die Vorliebe für Aufregung oder Neuheit, mussten natürlich zu den wunderlichsten Aenderungen der Gewohnheiten und Moden führen. Ich führe diesen Punkt deshalb an, weil ein neuerer Schriftsteller[1] wunderbar genug die Laune „als eine der merkwürdigsten und typischsten Verschiedenheiten zwischen Wilden und den Thieren“ bezeichnet hat. Wir können aber nicht blos wahrnehmen, woher es kommt, dass der Mensch launisch ist, sondern wir sehen auch, dass die niederen Thiere, wie sich später noch zeigen wird, in ihren Zuneigungen, Widerwillen und ihrem Gefühl für Schönheit ebenfalls launisch sind. Wir haben auch Grund zu vermuthen, dass sie Neuheit ihrer selbst wegen lieben.

Gottesglaube, Religion. – Wir haben keine Beweise dafür, dass dem Menschen von seinem Ursprunge an der veredelnde Glaube an die Existenz eines allmächtigen Gottes eigen war. Im Gegentheil sind


  1. „The Spectator“, Dec. 4th 1869, p. 1430.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/134&oldid=- (Version vom 31.7.2018)