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mit dem hintern Horn der Seitenventrikel und des in diesen Seitenventrikeln enthaltenen Hippocampus minor, welches alles beim Menschen so augenfällig ist.

Indessen, der wahre Sachverhalt, dass die drei in Frage stehenden Gebilde im Gehirn der Affen ebensogut entwickelt sind als im menschlichen Gehirn, oder selbst noch besser, und dass es für alle Primaten (wenn wir die Lemuren davon ausschliessen) characteristisch ist, diese Theile gehörig entwickelt zu haben, ruht jetzt auf einer so sichern Basis als irgend ein Satz in der vergleichenden Anatomie. Ueberdies wird von einem Jeden aus der langen Reihe von Anatomen, welche in den letzten Jahren der Anordnung der complicirten Furchen und Windungen, die auf der Oberfläche der Grosshirnhemisphären bei dem Menschen und den höheren Affen erscheinen, specielle Aufmerksamkeit gewidmet haben, zugegeben, dass sie bei jenem nach einem und demselben Plane angeordnet sind wie bei diesen. Jede Hauptwindung und jede Hauptfurche eines Schimpansengehirns ist in dem Gehirn eines Menschen deutlich vertreten, so dass die für den einen Fall angewandte Terminologie auch auf den andern passt. Ueber diesen Punkt besteht keine Verschiedenheit der Meinungen. Vor einigen Jahren veröffentlichte Professor Bischoff eine Abhandlung[1] über die Grosshirnwindungen beim Menschen und bei Affen; und da es sicherlich nicht die Absicht meines gelehrten Herrn Collegen war, die Bedeutung der Verschiedenheiten zwischen Affen und Menschen in diesem Punkte zu mindern, so führe ich gern eine Stelle aus seiner Abhandlung an.

»Dass die Affen und namentlich Orang, Chimpansè und Gorilla dem Menschen in ihrer ganzen Organisation sehr nahe stehen, viel näher als irgend ein anderes Thier, ist eine alt bekannte, von Niemand bezweifelte Thatsache. Von dem Gesichtspunkt der Organisation allein aufgefasst, würde wohl Niemand jemals der Ansicht Linné's entgegengetreten sein, den Menschen nur als eine besondere Art an die Spitze der Säugethiere und jener Affen zu stellen. Beide zeigen in allen ihren Organen eine so nahe Verwandtschaft, dass es ja der genauesten anatomischen Untersuchung bedarf, um die dennoch vorhandenen Unterschiede nachzuweisen. So steht es auch mit den Gehirnen. Die Gehirne des Menschen, Orang. Chimpansè, Gorilla stehen sich trotz aller vorhandenen wichtigen Verschiedenheiten doch sehr nahe« (a. a. O. S. 491, Sep.-Abdr. S. 101).

Es besteht daher kein Streit mehr in Bezug auf die Aehnlichkeit in fundamentalen Characteren zwischen dem Gehirne der Affen und des Menschen, ebensowenig in Bezug auf die wunderbar grosse Aehnlichkeit zwischen Schimpanse, Orang und Menschen, selbst in den Einzelnheiten der Anordnung der Windungen und Furchen der Grosshirnhemisphären. Wenn wir uns zu den Verschiedenheiten zwischen dem Gehirn der höchsten Affen und des Menschen wenden, so besteht auch keine ernstliche Streitfrage in Bezug auf die Natur und Grösse dieser Verschiedenheiten. Es wird zugegeben, dass die Grosshirnhemisphären des Menschen absolut und relativ grösser sind als die des Orang und Schimpanse, dass seine Stirnlappen weniger durch das Vorspringen des Augenhöhlendaches nach oben ausgehöhlt


  1. Die Grosshirnwindungen des Menschen mit Berücksichtigung ihrer Entwickelung bei dem Fötus und ihrer Anordnung bei den Affen, in: Abhandl. der math. physik. Classe der Kön. Bayer. Akademie d. Wiss. Bd. 10. 1870. S. 389.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/275&oldid=- (Version vom 31.7.2018)