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bei weitem die zahlreicheren sind. Derselbe Naturforscher hat sich auch für mich bei den Vogelstellern erkundigt, welche jedes Jahr eine erstaunliche Menge verschiedener kleiner Vögel für den Londoner Markt lebendig fangen, und erhielt von einem alten und glaubwürdigen Manne ohne Zögern die Antwort, dass beim Buchfinken die Männchen an Zahl weit überwiegen; und zwar glaubte er ein so hohes Verhältniss wie 2 zu 1 oder mindestens wie 5 zu 3 annehmen zu müssen.[1] Auch bei Amseln waren, wie derselbe Mann behauptete, die Männchen die zahlreichsten, mochten sie nun in Schlingen oder Nachts in Netzen gefangen werden. Allem Anscheine nach kann man sich auf diese Angaben verlassen, da derselbe Mann angab, bei der Lerche, dem Leinfinken (Linaria montana) und dem Stieglitz seien die Geschlechter in ziemlich gleicher Anzahl vorhanden. Auf der andern Seite ist es sicher, dass beim gemeinen Hänflinge die Weibchen bedeutend überwiegen, aber während verschiedener Jahre in ungleicher Weise; der genannte Beobachter fand in manchen Jahren das Verhältniss der Weibchen zu den Männchen wie vier zu eins. Man muss indessen nicht ausser Acht lassen, dass die Hauptjahreszeit zum Fangen der Vögel nicht vor dem September anfängt, so dass bei einigen Species zum Theil schon die Wanderung begonnen haben kann; und die Schwärme bestehen um diese Zeit oft nur aus Weibchen. Mr. Salvin richtete seine Aufmerksamkeit besonders auf die Geschlechter der Colibri's in Central-Amerika und ist überzeugt, dass bei den meisten Species die Männchen überwiegen; so erlangte er in einem Jahre 204 Exemplare, welche zu zehn Species gehörten, und darunter waren 166 Männchen und nur 38 Weibchen. Bei zwei anderen Arten waren die Weibchen in der Mehrzahl; die Verhältnisse variiren aber augenscheinlich entweder während verschiedener Jahreszeiten oder an verschiedenen Localitäten; denn bei einer Gelegenheit verhielten sich die Männchen von Campylopterus hemileucurus zu den Weibchen wie fünf zu zwei und bei einer andern Gelegenheit gerade im umgekehrten Verhältniss.[2] Da es zu dem letzten Punkte in Bezug steht, will ich hinzufügen, dass Mr. Powys fand, dass sich in Corfu und Epirus die Geschlechter des Buchfinken getrennt hielten, und zwar waren »die Weibchen bei weitem die zahlreichsten«, während Mr. Tristram in Palästina fand, dass »die männlichen Schwärme dem Anscheine nach die weiblichen bedeutend an Zahl übertrafen«.[3] So sagt ferner Mr. G. Taylor[4] in Bezug auf Quiscalus major, dass in Florida »sehr wenig Weibchen im Verhältniss zu den Männchen« vorkämen, während in Honduras das umgekehrte Verhältniss herrschte und die Species den Character einer polygamen darböte.


  1. Mr. Jenner Weir erhielt ähnliche Auskunft, als er während des folgenden Jahres Erkundigungen anstellte. Um eine Idee von der Zahl der Buchfinken zu geben, will ich noch anführen, dass im Jahre 1869 zwei Sachverständige eine Wette machten; der eine fieng an einem Tage 62, der andere 40 männliche Buchfinken. Die grösste Zahl, welche ein Mann an einem einzigen Tage fieng, war 70.
  2. The Ibis. Vol. II, p. 260, citirt in Gould’s Trochilidae, 1861, p. 52. In Bezug auf die vorstehenden Verhältnisszahlen bin ich Herrn Salvin für eine tabellarische Uebersicht seiner Resultate verbunden.
  3. Ibis, 1860, p. 137. 1867, p. 369.
  4. Ibis, 1862, p. 137.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/340&oldid=- (Version vom 31.7.2018)